Das Märchen vom Manifest

DOSB-Präsident Hörmann sorgt mit seinen Aussagen für neue Irritationen

Berlin, 27. November. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, hat so seine Momente. Überraschende, manchmal skurrile Aussagen kommen da, die ihn häufig wie ein Bumerang wieder ereilen. Beobachter bleiben meistens fragend zurück.

Einer dieser Momente ereignete sich diese Woche während der Bundespressekonferenz, wo Hörmann zusammen mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der Vorsitzenden der Sportministerkonferenz, Christine Kampmann, das Konzept zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ vorstellte. (Siehe Beitrag „Mit Lyrik auf Promotion-Tour“)

So weit, so gut.

Offensichtlich war Hörmann so überwältigt von seinem ersten Auftritt in der Bundespressekonferenz, dass er nun an „so einem bedeutenden Tag“ (wobei er wohl die Reform meinte, die ja den deutschen Sport – wird sie denn umgesetzt – nachhaltig verändern wird) noch eine Extra-Zugabe liefern wollte.

Ein Phantom

Es war einmal ein Präsident, der war auch König von Sportdeutschland. Und der erzählte gerne Geschichten. Diesmal handelte sie von Athleten, die im Mittelpunkt stehen und deren „Sachwalter“ er sei. Deshalb habe man diese Athleten befragt, habe sie in den Reformprozess einbezogen und sei mit ihnen in engen Gesprächen den Weg zur Erneuerung gemeinsam gegangen. Als Beleg dafür, dass die SportlerInnen hinter dieser Reform stehen, zitierte der königliche Präsident lyrische Sätze aus einem Manifest, wie er betonte. Doch das ist, wie sich nach Recherchen herausstellte, ein Phantom: Es gibt kein Manifest – zumindest nicht das, was man gemeinhin darunter versteht: Eine öffentliche (oft schriftliche) Erklärung von Zielen und Absichten.

Jedenfalls waren Athletinnen und Athleten auf Nachfrage irritiert. Denn keiner kennt ein „Olympiamannschafts-Manifest“, wie es Hörmann nannte. Selbst Aktivensprecher Christian Schreiber, der ja im DOSB-Präsidium sitzt, sagte in einem Telefonat, dass ihm ein Manifest nicht bekannt sei.

Was nun? Hörmann hatte Sätze vorgelesen, die von 12 AthletInnen stammen sollen, deren Namen er aber nicht sagen wollte.

Verblüfft

Wir lieben unseren Sport. Die Leidenschaft für ihn treibt uns an. Wir sind bereit, uns jeden Tag selbst herauszufordern und immer wieder an unsere Grenzen zu gehen. Warum? Weil es nichts Schöneres gibt als diese magischen Momente, die uns nur Olympische Spiele oder vergleichbare Sportveranstaltungen geben können“, rezitierte er aus dem angeblichen Manifest.

Athleten sagen, diese Sätze stammten vermutlich aus einer Befragung von SportlerInnen. Dabei ging es aber nicht um die Leistungssportreform, sondern um die Befindlichkeit der Aktiven. Und um die künftige Vermarktung der Olympiamannschaften. Am nächsten Donnerstag, unmittelbar vor der Mitgliederversammlung am 3. Dezember in Magdeburg, solle über diese Vermarktungsstrategie auch in der Präsidiumssitzung gesprochen werden, bestätigte Schreiber.

Überrascht zeigte man sich auch im Bundesinnenministerium von der „Manifest“-Präsentation. Bis zur „Lesung“ waren alle ahnungslos, wie auf Anfrage bestätigt wurde.

DOSB-Erklärung

Der DOSB nötigte sich nach offensichtlich einer Reihe von Nachfragen nach und zu dem Manifest eine Stellungnahme ab, die aber noch mehr Irritationen auslöst. Da heißt es:

Der DOSB ist seit einigen Monaten in einem Prozess, um den Auftritt, die Wahrnehmung und das Werteverständnis der Olympiamannschaft weiter zu schärfen, also die Marke Olympiamannschaft auszugestalten.

Im Rahmen dieses Prozesses wurde die erwähnte Umfrage initiiert. Die Befragung war und ist also nicht Teil der Leistungssportreform, sondern lief parallel im Zuge eines üblichen Markenprozesses. Um einen gemeinsamen Kompass oder eine Route für den Weg nach PyeongChang, Tokio und Peking zu entwickeln, wurden Interviews mit Athleten, Verbandsvertretern und vielen Sportinteressierten in Deutschland geführt. Wie misst sich Erfolg? Wie positionieren Athleten und der DOSB sich gegen unsportliches Verhalten? Was bedeutet Fairness im Wettkampf um die Plätze auf dem Podium? Die Antworten wurden als Haltung für die weitere Ausgestaltung formuliert und Athleten der Olympiamannschaften von Sotschi und Rio zugeschickt. 95 Prozent der Athleten, die sich bisher beteiligt haben (die Umfrage läuft noch), identifizieren sich sehr stark mit dieser Einstellung, die als weitere Basis des Prozesses dient – und neben Faktoren wie „Leistung“ auch sogenannte „weiche Attribute“ in den Vordergrund stellt.

Die Zustimmung zu dieser Haltung bestätigt unseren Weg in der Leistungssportreform. Ein wichtiger Aspekt der Haltung ist, dass Erfolg für Athleten wichtig ist, aber dass er nicht nur an einer Medaille festgemacht wird, sondern eine Qualifikation für ein Finale oder eine persönliche Bestzeit bedeuten kann. Und vor allem: Dass er fair errungen ist.“

Das ist eine Haltung“

Soweit der Wortlaut. Rückfrage in der Pressestelle: Dieses Statement ist aber keine Erklärung dafür, dass Hörmann mit einem Sportler-Manifest hausieren geht, das es gar nicht gibt? Die merkwürdige Antwort: „Das ist eine Haltung, die entwickelt wurde.“

Wobei man da nun schon wieder nachfragen muss: Welche Haltung? Wessen Haltung? Wer sind die Entwickler?

Oder ist der Satz mit der Haltung ganz anders zu verstehen?

Am Ende stehen also nun: Das Märchen vom Manifest und die Frage, was sich der Erzähler Hörmann dabei gedacht hat, ausgerechnet in der Bundespressekonferenz so eine „Ente“ zum besten zu geben.