Weiter miese Stimmungslage in den Verbänden: Bei der Spitzensportreform stehen sie weiter vor der Tür
Berlin, 8.Juni. Es wird gemotzt, kritisiert, sich geärgert – meist im stillen. An der Gemütsverfassung vieler Verbandsverantwortlicher hat sich nichts geändert. Beim Stichwort Spitzensportreform ist die Gelassenheit dahin. Ob vor zwei Monaten oder vor einer Woche - die Stimmungslage über die Art und Weise, wie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Bundesinnenministerium (BMI) diese Reform durchziehen wollen – nämlich als geheime Kommandosache -, stinkt vielen. Nun treffen sich die Verbände in dieser Woche wieder, aber ohne große Hoffnung, dass sie aus Frankfurt am Main zufriedener und informierter abreisen, als sie angekommen sind.
Der Sprecher der Spitzenverbände und Ruderpräsident Siegfried Kaidel fasste den Unmut seiner KollegInnen schon vor längerem in einen Brief an den DOSB zusammen, wo er vor allem umfangreiche, zeitnahe und ernsthafte Informationen aller Verbände einforderte. Es wären sicher gar keine Informationen vom DOSB gekommen, wäre dieser nicht durch Presseveröffentlichungen in Zugzwang geraten. Der Unmut brodelt vor sich hin. „Wir haben ja eigentlich genug anderes zu tun: Den Olympischen Spielen muss jetzt unser Hauptaugenmerk gehören“, sagte Kaidel schon vor Wochen in einem Telefonat, und fand die ganze Gemengelage rund um die DOSB-Baustellen „misslich“.
Gerüchte
Auch viele seiner KollegInnen sehen das so. Man werde, so sagen sie, mit Gerüchten, Halbinformationen konfrontiert. Mit Beschwichtigungen werde versucht, die Mitgliedsorganisationen ruhig zu stellen. Nichts Genaues weiß man nicht. Die Besuche des emsigen DOSB-Leistungssportvorstandes Dirk Schimmelpfennig bei den Verbänden, bei denen spezifische Probleme und Details des jeweiligen Gesprächspartners abgerufen und diskutiert werden, tragen auch nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Und beim Schlagwort „neuronale Vernetzung“ (interaktives Dateiensystem, das eingeführt werden soll und alle verwirrt), einer Art „sportlichem Daten-Superhirn“, mit dem die DOSB-Unterhändler Höhenflüge erreichen wollen, drehen schließlich alle am Rad.
Dass sich die Verbandsverantwortlichen nicht aus der Deckung trauen, um öffentlich mitzudiskutieren, wohin und wie der deutsche Sport in Zukunft steuern und wie er gestaltet werden soll, verwundert Beobachter überhaupt nicht. Zu aufmüpfige Zeitgenossen sollen, so wird jedenfalls kolportiert, mehr oder weniger deutlich darauf hingewiesen werden, dass öffentliche Gegenwehr Folgen bei der Förderung oder … haben könnte.
Keine gesellschaftliche Diskussion
So beraten nun acht Arbeitsgemeinschaften, ein Beratergremium und die Lenkungsgruppe sowie Bundesinnenminister Thomas de Maizière und DOSB-Präsident Alfons Hörmann, wie der Spitzensport reformiert werden soll. Alle anderen müssen draußen bleiben. Eine gesellschaftliche Diskussion zum Thema „Welchen Spitzen-(Leistungs)-sport wollen wir in Deutschland?“ wird es offensichtlich nicht geben. Dabei, so sagen Kritiker, müsste diese Frage eigentlich erst geklärt sein, denn sie gibt die Richtung für alles andere vor.
Für den Bundesinnenminister steht das Ziel der Reform schon fest: Mehr Medaillen. Aber wie? Leistungssportkonzepte kamen und gingen – wie Sportminister. Die großen Erfolge blieben aus. Nun ist mal wieder Konzentration der Kräfte angesagt: Zwischen 60 und 90 Bundesstützpunkte, die früher als einer der ultimativen Erfolgsgaranten galten, sollen nun geschlossen werden, so dass etwa noch 150 übrig bleiben werden. Pro Bundesland soll es nur noch einen Olympiastützpunkt (von 19) geben. Schon allein diese Maßnahmen sorgen für viel Zündstoff. Fragen der Talentsuche, der Nachwuchsförderung, wer die wissenschaftliche Begleitung übernimmt oder wer dann für welche Trainer inhaltlich und finanziell zuständig ist, sind weitere strittige Punkte. Das Monopol von IAT in Leipzig und FES in Berlin (Institute für Sportgerät und angewandte Trainingswissenschaft) soll es nach dem Willen des BMI nicht mehr geben. Das Wissen an Universitäten und anderen Instituten sowie Kooperation mit diesen sind nun wieder up to date.
Wer wird gefördert?
Und nicht zuletzt wird auch die Frage gestellt, wer dann noch gefördert wird – und ob die Förderung tatsächlich nur noch von Leistung und Erfolg abhängt. Am 24. Februar machte Dirk Schimmelpfennig da vor dem Sportausschuss, der sich in einer nicht öffentlichen Sitzung mal sachkundig machen wollte, eine interessante Aussage. Im Protokoll des Sportausschusses ist darüber folgendes zu lesen: „Der DOSB suche momentan in den Arbeitsgruppen nach Attributen für die Potenziale und für die Strukturen. Im Anschluss gehe es darum, wie man diese Attribute gewichte. Am Ende solle es eine Clusterung geben, die die einzelnen Sportarten und Disziplinen in ihrer Förderungswürdigkeit unter objektiven Kriterien darstelle. Auf dieser Grundlage wolle man unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten fördern. (…) Er führt aus, dass es keine Förderung gäbe, wenn bei einer Sportart auf Sicht kein Potenzial da wäre. Kein Potenzial in Sicht könne in der Konsequenz keine Förderung bedeuten.“
Wieso denkt der DOSB als Interessenvertreter aller Verbände darüber nach? Das heißt in der Konsequenz, dass das föderale Vereins- und Verbandssystem vor dem Aus steht und man dem erfolgsorientiert gezielt fördernden System der DDR nacheifert. Will man das? Und was bedeutet das für eine aktive und glaubwürdige Dopingbekämpfung?
Ringen zwischen Sport und Sport
Seit Monaten fordert Kaidel, dass der DOSB das Heft des Handelns in die Hand bekommen müsste, weil dem BMI die sportfachliche Kompetenz fehle. Aber unterstützt er da nicht diejenigen, die aus Prestigegründen andere Interessen vertreten als die des gesamten organisierten deutschen Sports? Ist es wirklich nur ein Gerangel um die Macht zwischen Sport und Staat, nicht auch ein Ringen zwischen Sport und Sport?
Machtteilung in Form einer gemeinnützigen Spitzensport GmbH, die dann Schimmelpfennig und Gerhard Böhm, Abteilungsleiter Sport im BMI gemeinsam führen könnten, stößt auf Ablehnung bei der Mehrheit der Verbände. Die Landessportbünde beschlossen schon im März einstimmig, dass der Sport das Sagen haben muss. „Eine Aufgabenverteilung, bei der die Politik die Entscheidungen träfe und DOSB und Fachverbände die Verantwortung für die Ergebnisse übernehmen sollen, lehnen wir ab.“ Aber wer im Sport entscheidet dann, wer förderungswürdig ist? Welche Kriterien legt wer im Sport fest, der somit ein Zwei-, vielleicht gar ein Dreiklassensystem festzurrt?
Unfähiger Sport
Vertreter im Innenministerium halten den Sport für unfähig, zielgerichtet und effektiv planen und arbeiten zu können. Da würden sicher auch Mitgliedsorganisationen im Bezug auf den DOSB zustimmen, dem sie nicht nur in Sachen Spitzensportreform ein „Kommunikations- und Informationsdesaster nach innen und außen“ vorwerfen.
Die ganze Geschichte sei ohnehin wieder ein Beispiel für miserable Planung. Man hätte gleich nach den Olympischen Spielen von London anfangen müssen, sich mit einer Reform zu beschäftigen. „Das Timing ist eine Katastrophe – vielleicht auch gewollt. Wer wird vor den Sommerspielen jetzt hier noch groß ein Fass aufmachen?“ sagt ein Verbandsvertreter, der fürchtet: „Ohne gesellschaftliche Diskussion und einen ganzheitlichen, nachhaltigen Ansatz ist das keine Reform, sondern der Beschluss von Hinterzimmerdiplomaten.“ Am 21. September soll es beim Sportausschuss des Deutschen Bundestages eine Öffentliche Anhörung geben: Auch die Parlamentarier werden – sehr zu ihrem Verdruss – informationstechnisch auf Sparflamme gehalten. Es sei im Februar viel geredet, aber nichts gesagt worden, ärgern sich TeilnehmerInnen. Nicht zuletzt auch deshalb die Anhörung, doch schon vier Wochen später, am 19. Oktober, soll die Reform vorgestellt werden.
Letzte Chance der Verbände also, sich solidarisch zu zeigen, sich gemeinsam und lautstark in eigener Sache zu wehren: In Frankfurt am Main geht es um die eigene Zukunft und Mitsprache der Verbände. Wieder einmal.