Eine üble Grätsche gegen das kickende Deutschland

Platzverweis für AfD-Vize Alexander Gauland nach seinem rassistischen Tritt gegen Boateng am Gartenzaun

Berlin, 29. Mai. Man muss sich im Sport in letzter Zeit verstärkt nicht nur mit fragwürdigen FunktionärInnen beschäftigen, sondern manchmal auch mit dubiosen Politikern – etwa dem Vizepräsidenten der AfD, Alexander Gauland.

Der entblödete sich nicht, in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über den Fußballspieler Jérôme Boateng, der in der Nationalmannschaft und für Bayern München kickt, folgenden Satz loszulassen: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Ein rassistischer Scheuklappenblick über den deutschen Gartenzaun.

Klassisches Eigentor

So was nennt man in der Fußballersprache ein klassisches Eigentor! Die Behauptung ist dreist, unverschämt, rassistisch – und blöde. Jérôme Boateng, der in Berlin geboren und aufgewachsen ist, ist einer derjenigen Kicker, der sich nicht nur mit harter Arbeit seinen sozialen Aufstieg erkämpft hat, sondern er verkörpert, sieht man ihn spielen, die doch von der AfD so hoch gepriesenen deutschen Tugenden. Boateng zeigt nicht nur auf dem Platz Zuverlässigkeit, Einsatzfreude, Mannschaftsgeist usw. Alle, die ihn kennen, bezeichnen ihn als guten Menschen, freundlichen Kerl, liebevollen Familienvater, den man sich gerne zum Nachbar wünscht.

Viel lieber als die kleinkarierten Zeitgenossen nebenan, die zu jeder Tages- und Nachtzeit den Hof kehren, den Laubsammler und alle ohrenbetäubenden Geräte, die sie im Baumarkt bekommen, anschmeißen, mit der Nagelschere den Rasen massakrieren oder ihren fahrbaren Untersatz so lange polieren, bis ihnen der Rücken weh tut. Um sich dann bei ihrem „Päuschen“ mit der gleichgesinnten Nachbarschaft über die Hippies von nebenan auszulassen, die den Garten verwildern lassen. Man verschone uns vor solch engstirniger Gartenzwerg-Umgebung!

Wunderbarer Mensch

Und vor politischen Ultras. Die, wie DFB-Präsident Reinhard Grindel es auf den Punkt bringt, „die Popularität Boatengs und der Nationalmannschaft für politische Parolen missbrauchen“. Und weiter: „Millionen Menschen lieben die Nationalmannschaft, weil sie so ist wie sie ist.“ Boateng sei „ein herausragender Spieler und ein wunderbarerer Mensch, der übrigens auch gesellschaftlich stark engagiert und für viele Jugendliche ein Vorbild ist.“ Klare Ansage, die der DFB, der in letzter Zeit immer wieder mit solchen Aussagen konfrontiert wird, auch hier macht.

Deutsche Fußballseele

Alexander Gauland, der ja behauptet zu wissen, was das „Volk“ denke und wolle, hat offensichtlich nicht mitbekommen, dass sich viele Deutsche (sicher auch zahlreiche aus der AfD-Klientel) mit kaum jemandem so sehr identifizieren wie mit der Fußball-Nationalmannschaft. Und sich von dieser auch repräsentiert fühlen. Bei Bratwurst, Bier und Fußball hört deshalb die unreflektierte Begeisterung für politische Phrasendrescher ganz schnell auf.

Insofern, Herr Gauland, dürften Sie damit, nichts ahnend von der empfindlichen deutschen Fußballseele quer durch alle Bevölkerungsschichten, nun auch den eigenen Anhängern nicht regelkonform in die Beine gegrätscht haben. Schon bei der Kinderschokoladen-Aktion waren die AfD-Anhänger sauer, weil sie ihrem Nachwuchs erklären sollten, warum diese Schokolade erst einmal tabu ist. Und nun? Sollen sie etwa auch noch auf schwarz-rot-goldene Autospiegelschoner, Fenster- Sonnenschutz und andere Utensilien verzichten, um ihre Fußballbegeisterung auszudrücken, nur weil Gauland Boateng nicht als Nachbar will? Oder wie?

Was wäre…

Was wäre Deutschland ohne die Zugezogenen aus der ganzen Welt und die deutsche Nationalmannschaft ohne die Kicker mit Migrationshintergrund? Was wäre die deutsche Bundesliga (und das gilt nicht nur für den Fußball) ohne die vielen SpielerInnen, die originellen Typen mit eigenem Stil und Einfallsreichtum aus dem Ausland? Mürrischer, grauer, durchschnittlicher, langweiliger, farblos, typisch deutsch – so wie die AfD es gerne hätte?

Dazu gelernt

Der Sport hat aus seiner Geschichte gelernt: Als 1933 Adolf Hitler an die Macht kam, hatten sich manche schon in vorauseilendem Gehorsam den Nazis angeschlossen und andersgläubige, anders denkende oder anders aussehende MitspielerInnen aus den Vereinen geworfen. Nur wenige leisteten Widerstand, und am Ende war der Sport gleichgeschaltet unter Kontrolle der Machthaber. 1936 wurde der Sport mit den Olympischen Spielen in Berlin und Garmisch- Partenkirchen missbraucht, um der Welt ein offenes und tolerantes Deutschland der Weltöffentlichkeit vorzugaukeln. Und die Überlegenheit der arischen Rasse unter Beweis zu stellen. Das ging ja dann voll daneben – unter anderem dank eines Jesse Owens, der vier Goldmedaillen holte und damit die Überlegenheits-These widerlegte – zum großen Missfallen des Nazi-Regimes und seines Führers Adolf Hitler, der dem schwarzen Superstar den Handschlag verweigert haben soll.

Viele Sportorganisationen in der Bundesrepublik haben lange gebraucht, sich ihrer Verantwortung mehr oder weniger erfolgreich und intensiv zu stellen – bis in die jüngste Vergangenheit. Aber gegen Rassismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit sind sich alle einig. Über 25 Jahre leisten Vereine und Verbände – vor allem deren Jugendorganisationen – vorbildliche und erfolgreiche Integrationsarbeit. Der Sport hat dazugelernt – und wehrt sich.

Schadensbegrenzung

Der gelernte Jurist und politisch-historische Publizist Gauland dagegen wehrt sich, hat aber offensichtlich nichts dazugelernt. Nun steht er zum wiederholten Mal im gesellschaftlichen Abseits und redet sich heraus: Er habe Boateng nie beleidigt, sich an keiner Stelle in dem FAS-Hintergrundgespräch über ihn geäußert. Die Verteidigungsstrategie zieht nicht, denn die von der AfD so gerne als „Lügenpresse“ diffamierten Kollegen haben sich abgesichert: Die Aussage wurde zweimal mitgeschnitten. Schadensbegrenzung versuchte die Vorsitzende Frauke Petry mit einer öffentlichen Entschuldigung bei Jérôme Boateng – durchsichtig und  peinlich, denn sie bestätigt nicht nur dem 75-jährigen Gauland damit, offensichtlich geistig nicht auf Ballhöhe zu sein, sondern auch das beliebte AfD-Spiel der inszenierten Provokation.

Platzverweis

Wir freuen uns jedenfalls auf die EM: Auf die Teams von der Insel, der Türkei, von unseren EU-Partnern Italien, Spanien, Frankreich, Österreich, Belgien, Portugal, Slowakei, Polen, Ukraine, Schweden, Russland und und …

Und natürlich auf das Team mit unseren Mitbürgern Özil, Boateng, Schweinsteiger, Müller, Khedira, Neuer, Podolski und allen anderen, die als Nachbarn oder Gäste in unserem Wohnzimmer immer willkommen sind – real oder eben auf der Mattscheibe.

Rassisten und ewig Gestrige aber erhalten Platzverweis. Deshalb: Rote Karte für Gauland!