Der Schwanengesang des Schweizer Lohengrins

Weiterer Überraschungscoup des Joseph Blatter: Die Einschläge kommen näher, und nun tritt er doch zurück

Berlin, 2. Juni – Ups? Ein Scherz? Oder echt? Die Meldung, die da in den Redaktionsstuben am Dienstagnachmittag (2. Juni) ankam, verwirrte zunächst, sorgte für Schnappatmung und kurzzeitige Sprachlosigkeit selbst bei den vielen FIFA-Experten.

Mit dem Schwanengesang des 79-jährigen Schweizer Lohengrins hatte so schnell keiner gerechnet. Was zeigt, Joseph Blatter ist nach wie vor für Überraschungen gut.

Ungläubiges Staunen

Die neuste: Er kündigte in Zürich bei einer von der FIFA kurzfristig anberaumten Pressekonferenz seinen Rücktritt an. Selbst die wenigen Journalisten/innen, die es noch zur PK geschafft hatten, dachten, sie hätten nicht richtig verstanden, als ein gefasster, etwas blasser Blatter sagte: „Ich habe ernsthaft über meine Präsidentschaft nachgedacht und über die 40 Jahre, in denen mein Leben untrennbar mit der FIFA und diesem großartigen Sport verbunden gewesen ist.“ Er habe am Freitag noch einmal das Mandat durch die Fifa-Mitglieder bekommen. Ja, das wissen wir! „Aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht das Mandat der gesamten Fußball-Welt habe.“ Ach, schon gemerkt? „Daher habe ich entschieden, mein Mandat bei einem außerordentlichen Kongress niederzulegen.“ Paukenschlag! Ungläubiges Staunen.

Da muss man sich erst wieder sammeln. Was ist von Freitag bis Dienstag nun passiert, was ihn, den unerschütterlichen FIFA-Fels, dem offensichtlich kein Sturm zu heftig entgegenblasen konnte, nun doch ins Wanken brachte und in die Knie gehen ließ? In seinem Statement verwies er darauf, es sei seine „tiefe Sorge um die FIFA und ihre Interessen, die mich zu dieser Entscheidung veranlasst hat“.

Wenige Zugeständnisse

War das letzte Woche noch anders? Hätte er nicht schon während seiner gesamten 17 Jahre langen Amtszeit als Präsident die Stirn in Sorgenfalten legen müssen angesichts der vielen Skandale in seinem Laden? Nichts hat ihn aber daran gehindert, mit wenigen Zugeständnissen wie etwa einer zu einem besseren Image verhelfenden Ethikkommission weiterzumachen wie gehabt.

Kritik prallte an ihm ab. Wo er auf Widerstand oder Widerworte stieß, kamen Sätze wie „ Ich kann vergeben, aber nicht vergessen“ , die Freund wie Feind, Funktionär oder Journalist, als Drohung verstehen konnten und auch sollten.. Und viele ließen sich beeindrucken und waren schnell auf Kurs. Die (Macht-) Spiele – wie auch nun zuletzt wieder beim Kongress aufgeführt – waren Schmierentheater in mehrfacher Hinsicht.

Mit den bisherigen Gegnern wurde der 79-jährige Blatter locker fertig.

Doch nun hat er in den US-Ermittlungs-Behörden Gegner gefunden, die er nicht kontrollieren, geschweige denn einfangen kann, wo seine Machtinstrumente stumpf bleiben.

Und deshalb hat der Sinneswandel von Joseph Blatter wohl vor allem damit zu tun, dass die Einschläge, ausgelöst durch die Ermittler, immer näher kommen. Erst am Dienstagmorgen musste die FIFA einen Bericht der „New York Times“ bestätigen, nach dem ein hochrangiger FIFA-Funktionär 2008 eine Überweisung von zehn Millionen Dollar auf ein Konto in die USA veranlasst habe. Das Geld war dann (wie hier in den letzten Tagen nachzulesen) auf dem Konto des gesperrten FIFA- Vizepräsidenten Jack Warner gelandet, der es dafür bekam, dass er für die WM in Südafrika 2010 Stimmen gesammelt hatte. Und derjenige, der das Geld überwiesen haben soll, ist die rechte Hand Blatters, Generalsekretär Jerome Valcke.

Instinkt versagt

Blatter, dem nicht nur nachgesagt wird, dass er ein ausgezeichneter Taktiker ist, sondern auch einen sehr guten Instinkt für Situationen hat, wurde diesmal von seinem Bauchgefühl im Stich gelassen. Noch am Freitag nach der Wahl glaubte er, die heikle Krisenwelle umschifft zu haben. Weit gefehlt. Er, der Unantastbare, gegen den sich die Schweizer Behörden nur zögerlich zu ermitteln trauten, hat nun im FBI, in der US-Steuerbehörde und der US- Justizministerin Loretta Lynch seine strategischen Meister gefunden.

Mit deren ausgetüftelten Attacken hatte er nie und nimmer gerechnet. Schließlich – so schätzte er ja bisher den Beliebtheitsgrad seiner Amts-Person richtig ein – sei er bei allen Regierungen und Herrscherhäusern weltweit ein immer gerngesehener Gast. Und deshalb könne ihm dann auch nichts Böses von Fahndungs-, Ermittlungs- oder Steuerbehörden widerfahren. Das war nun eine eklatante Fehleinschätzung. US-amerikanische Medien u.a. der Fernsehsender ABC News melden, das FBI ermittle nun auch gegen Blatter.

So tritt der eiserne Joseph für seine Verhältnisse völlig unglamourös, nun nach 40 Jahren von der Fußball-Bühne ab, den Brettern, die für ihn nicht nur seine ganze Welt, sondern auch sein Leben waren. Ein dankbares Bravo für diese überraschende aber längst überfällige Abgangsszene. Ohne da capo bitte!! (Wir erinnern uns: Blatter wollte auch nicht noch mal zur Wahl antreten).

Integerer Kandidat

Nun sind die Nachwuchsdarsteller gefragt. Die bisher nur immer laut tönende UEFA mit ihren Protagonisten kann jetzt beweisen, dass sie es mit einer neuen sauberen FIFA ernst meint. Das fängt dann schon mit der Suche nach einem integren Kandidaten an. Und hätte dann schon mal zur Folge, dass einer wie Michel Platini als Blatter-Nachfolger nicht in Frage kommt – auch er ist belastet.

Und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sollte sich endlich über seine Rolle im großen FIFA-Clan klar werden. Bisher gehörte er zu den Maulhelden, die Drohszenarien aufbauten, und knickte dann ganz schnell ein, wenn er Farbe bekennen musste. Opportunisten können nicht für eine neue FIFA stehen. Das gilt für viele andere Vertreter auch. Nur die Funktionäre von der Insel blieben offensichtlich ihrer Linie im Kampf gegen Korruption treu und verzichteten auf FIFA-Posten.

Wie eine Spinne

Vielleicht wären die Männer und Frauen aus dem Mutterland des Fußballs dann auch die richtigen, den verschimmelten und bis in die Wurzeln verfilzten FIFA-Rasen aufzurollen, und zu gucken, was da alles drunter liegt. Oder man holt Außenstehende, die mit den bestehenden Strukturen und dem dadurch möglichen System aufräumen, das wie eine Spinne ein Netz von Abhängigkeiten, Vetternwirtschaft und Machtkonzentration geknüpft hat. Aufräumen, das gilt übrigens auch für die nationalen und kontinentalen Verbände, die nicht nur mit dem Finger auf Blatter und seine FIFA zeigen sollen, sondern auch Asche auf ihr Haupt streuen müssen.

Übrigens: Blatter bleibt bis zum außerordentlichen Kongress und der Neuwahl , die es zwischen Dezember und März geben soll, Präsident. Bis dahin wird an seiner Seite Domenico Scala, Chef der  Audit-Kommission, die Geschäfte offiziell weiterführen. Auch der Italiener Scala gilt als Blatter-Mann. Man braucht nicht zu glauben, dass der Noch-Präsident  bis zum Wahltag Däumchen dreht. Er wird seine Phalanx in Stellung bringen. Fast ein halbes Jahrhundert Netzwerken – da ist man auch nach dem Rücktritt noch mitten drin als Strippenzieher.

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