Ein Jahr nach der Flut kämpfen auch Sportvereine im Ahrtal vor allem mit der Bürokratie
Berlin, 28. Mai. Eine weggespülte Existenz, ein Neuanfang. Angst als Begleiter, der ständige Blick zum Himmel, auch wenn er strahlend blau ist. Hören des Wetterberichts zu jeder Stunde. Steter Sichtkontakt zum Fluss, der harmlos dahin fließt. Ein Kampf gegen vielfältige Ängste, Albträume einerseits, aber auch Zuversicht, Hoffnung und ungebremste Energie andererseits. So schildern Betroffene ihr Leben nach der Jahrhundertflut, die nun fast vor einem Jahr in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 über das Ahrtal hereinbrach und 134 Menschen das Leben kostete. Und trotzdem – es muss weitergehen.
Während die einen für jeden kleinen Fortschritt dankbar sind, gehen anderen die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau zu langsam – viel zu langsam. Beschwerden über Bürokratie als Bremsklotz und zu wenig Kommunikation werden zur Endlosschleife. Auch im Sport klagen Vereinsverantwortliche, ihre Geduld werde häufig ziemlich strapaziert. Schlagwörter wie Baurecht, Planungsrecht, Hochwasserschutz, Naturschutz, Lärmschutz, Zuständigkeiten wirken bei Geschädigten als Pulsbeschleuniger, wenn sie wieder mal mit ihrem Anliegen an eine andere Stelle weitergereicht wurden.
Frontfrau, die kommunikative Schnittstelle
Susanne Weber, die eigentlich Geschäftsführerin der Sportjugend Rheinland ist, kennt die Problematik zu gut. Sie ist sozusagen die „Frontfrau“ in mehrfacher Hinsicht seit zehn Monaten, als sie der Sportbund Rheinland als Flutbeauftragte ausdeutete. Sie selbst sieht sich als „kommunikative Schnittstelle“ zwischen Vereinen, Ortsvorständen, Kommunen und dem Fluthilfestab des Innenministeriums. Der Sportbund Rheinland hatte schnell erkannt, dass Sportvereine als Einzelkämpfer bei der flutverursachten Problembewältigung auf verlorenen Posten stehen würden und man helfen müsse.
Während Schulsportanlagen zu den kommunalen Pflichtaufgaben gehören, ist die Unterstützung der Vereine eine freiwillige Leistung. Und somit ist auch im Sport für die Kommunen die Reihenfolge der zu erledigenden Problemfelder klar: Pflichtaufgaben zuerst.
Hilfestellung allerorten
Schon die Frage, wie, an wen, wo und in welchem Zeitraum Anträge adressiert werden müssen, stellte und stellt manchen Vereinsvorstand, von denen nicht wenige auch privat Flutgeschädigte sind, vor große Probleme: Allein die Formularsprache macht das Ausfüllen zur Tortur. Und beim Thema Zuständigkeiten haben manche schon zermürbende „Buchbinder-Wanninger“-Telefonerfahrungen mit Behörden hinter sich – von einer Stelle zur anderen weitergereicht.
Also gut, dass es Frau Weber gibt. Die fragt nach, wo es brennt, wo es hängt und hakt. „Ja, schicken Sie mir das mal, dann kümmere ich mich darum.“ Das macht sie auch – und zwar subito. Dann bekommen die zuständigen Stellen eine Anfrage, was denn da los sei. Vereinsvertreter sind froh, dass sie die „Frontfrau“ haben, vor allem, wenn gar nichts mehr läuft und sie schon aufgeben wollen.
Die Klage, dass die Kommunikation mit manchen Kommunen gar nicht klappt, könnte man als Dauerschleife einspielen – trotz Verständnisses und einiger positiver Vereinserfahrungen. Ein Vereinsvorsitzender berichtet in einer digitalen Austauschrunde von seinen Erfahrungen, die andere ebenso gemacht haben: Es könne ja wohl nicht sein, dass man wochenlang weder Rückruf, noch Mailantwort geschweige denn einen Termin bei der zuständigen kommunalen Behörde bekomme.
Also Ursachenforschung. Und die ergibt: KommunalvertreterInnen und ehrenamtliche Orts- und VerbandsbürgermeisterInnen wie auch KreisvertreterInnen seien überlastet, teils überfordert. Und manche Behörde verwaist. „Der Bauamts-Leiter hat das Handtuch geworfen. Nachfolger ist noch keiner da. Die Arbeit wartet“, erzählt ein anderer Sportvertreter..
ISE Trier und Hochschule Koblenz ermitteln
„Bisher kümmern wir uns um 45 betroffene Vereine, die sich an uns gewandt haben“, sagt Weber, die auch viel vor Ort unterwegs ist, immer wieder selbst nachschaut, wie die Dinge stehen.Während der Sportbund Rheinland Fragen und Probleme sammelte, kümmerten sich Experten des Instituts für Sportstättenentwicklung in Trier (ISE) und die Hochschule Koblenz um die Steuerung des Wiederaufbaus von Sportanlagen – und vor allem um einen Sportstätten-Bedarfsplan. Auch das, so Stefan Henn, Leiter des ISE, sei nicht so einfach. Es gebe eine Reihe Hürden. Eine davon ist die Finanzierung durch den Wiederaufbaufonds. „Das heißt in der praktischen Umsetzung: Wenn ein Ascheplatz weggespült wurde, soll er eigentlich so wieder aufgebaut werden, wie er ursprünglich war“, sagt Henn. Eigentlich, denn: Wenn man schon wieder aufbaue, dann sollte man Bedarf und Innovation berücksichtigen. „Es macht wenig Sinn ein Auslaufmodell wie einen Ascheplatz genauso wieder herzustellen, weil das so festgelegt und geregelt wurde. Es stellt sich auch die Frage, ob drei Rasenplätze für drei Vereine, die ohnehin schon in Spielgemeinschaften antreten, die richtige zukunftsorientierte Lösung ist. Oder eher eine gemeinsame, gut geplante Anlage nicht nur aus Kosten-Nutzen-Überlegungen Sinn macht, wofür die Vereine plädieren“ erklärt Henn weiter und betont: „Wir sind da mit den zuständigen Behörden und Kommunen auf einem guten Weg.“
Recht trifft auf Recht
Schwieriger wird es, wenn es darum geht, ob eine Sportanlage da bleiben kann, wo sie war. Oder man einen anderen Platz suchen muss. „Da treffen dann Baurecht und Hochwasserrecht – etwa wenn es um Schutzmaßnahmen wie Zäune oder die Lage der Funktionsgebäude geht – aufeinander, was manchmal nicht kompatibel ist“, erklärt Henn. Auch die Suche nach einem neuen Standort wird mancherorts zum Problem: Naturschutzgebiete, landwirtschaftliche Nutzflächen, mangelnde Infrastruktur, zu weite Wege für die Nutzer – alles Hinderungsgründe für neue Sport-Standorte, ganz abgesehen von Bau- und Planungsrecht und Flächennutzungsplänen. Mancher – nicht nur im Sport – erlebt beim Blick auf Pläne eine böse Überraschung: Da kann es passieren, dass es den Vereins-Standort gar nicht gibt – weil er gar nicht auf den Plänen eingezeichnet ist.
„Bis Baurechtsänderungen und alles andere durch sind, muss man mit mindestens zwei bis drei Jahren – wenn alles glatt läuft und man keine Überraschungen erlebt – rechnen, bis man mit dem Bau beginnen kann. Bis dann alles fertig ist, können sechs bis sieben Jahre ins Land gehen. Für die Vereine ist das existenzbedrohend – selbst treueste Mitglieder werden das auf längere Zeit nicht mitmachen“, sagt Henn.
Hoffnung auf nächstes Jahr
Für Ralf Barnekow, Vorsitzender des TC Bad Bodendorf , einem Stadtteil von Sinzing, wo die Ahr in den Rhein mündet, ist die Vorstellung ein Horror, dass sich der Wiederaufbau über so einen langen Zeitraum hinziehen könnte. „Wir wären glücklich, wenn wir es hinkriegen würden, im nächsten Jahr dann Ende Mai, Anfang Juni wieder hier auf den Plätzen spielen zu können. Aber wir sind da von der Stadt abhängig“, sagt er, denn der TC hat das Gelände von der Stadt gepachtet. Und die sei angesichts des Problemberges mit vielem überfordert.
Mal abgesehen davon, dass in der Flutnacht die sieben Plätze weggespült wurden, die man gepachtet und mit viel Einsatz gehegt und gepflegt hat, das Clubhaus unter Wasser stand, wächst der finanzielle Schaden weiter und weiter. „Wir haben ja keine Einnahmen. Schnupperkurse können wir nicht anbieten, der Gaststättenbetrieb im Clubhaus fällt weg“, sagt Barnekow. 400 Mitglieder, davon 100 Kinder und Jugendliche, hat der Verein, von denen die meisten dabei geblieben sind. „Die konnten bisher bei einem Nachbarverein in Remagen zu günstigen Bedingungen spielen. Aber das geht auf Dauer natürlich auch nicht. Und manche, die nun dort spielen, bleiben dort als Vereinsmitglieder.“ Auf rund 100 000 Euro Schaden sitzt der Verein: Die Küche im Clubhaus, Geräte wie Aufsitz-Rasenmäher, Netze und Schläger usw. sind unwiederbringlich zerstört.
Glück im Pech
„Wir hatten irgendwie Glück im Pech“, so Lutz Baumann vom SC Bad Bodendorf. „Wir waren gerade dabei, unseren Platz fertigzustellen, mittendrin und fast fertig, als die Katastrophe kam.“ Der Vorsitzende des 500 Mitglieder starken Mehrspartenvereins erinnert sich mit Grauen an den Morgen nach der Flut, als er die Fotos von dem abgesoffenen Sportgelände machte. „Es war ein Schock.“ Aber der hielt nicht lange an, die Devise hieß: Zupacken. Die Firma, die den Neubau gestaltete, schaffte den Schlamm vom Platz. Dank der Eigeninitiative ging vieles schneller als bei denen, die nun ganz von vorne anfangen und auch noch auf den Eigentümer Kommune warten müssen. Das Clubhaus haben sie selbst entkernt, der Platz ist seit kurzem wieder bespielbar. „Wir haben dank gemeinsamer Anstrengungen auch mit Unterstützung der Kommune das hingekriegt.“
Alle Geldspenden willkommen
Susanne Weber sagt, man müsse mindestens mit 30 Millionen Euro für den Aufbau der Sportstätten rechnen – Eigenleistungen der Vereine nicht mitgerechnet. Und die Preissteigerungen um mittlerweile 25 Prozent und mehr, ausgelöst durch den Ukrainekrieg, sind ebensowenig eingerechnet.
Geldspenden sind da bei Vereinen herzlich willkommen – auch wenn der Geber nicht unumstritten ist und aus Katar kommt. Der Fußball-Verband Rheinland hat eine eigene Stiftung „Fußball hilft“. Diese unterhält ein Sonderprojekt „Kinderfußballfelder“. Die Stiftung bekam nun vom Gastgeberland der Fußball-WM, dem Emirat Katar, eine Million Euro. Und davon gehen 80 000 an den SV Hönningen, wie der Vorsitzende Rolf Stappen überwältigt in einem Gespräch mit dem SWR berichtet. 100 Kinder und Jugendliche des SV profitieren davon. Zustande gekommen ist der Kontakt offensichtlich über jemanden aus der Botschaft, der einen Bezug zum Ahrtal aus seiner Bonner Zeit hat. Im SWR rechtfertigt Norbert Weise, Vorstandsmitglied der Stiftung, die Annahme der Spende, obwohl Katar wegen Menschenrechtsverletzungen und Arbeitsbedingungen beim Bau der Stadien schon lange in der Kritik ist: „Wir sehen das als Sympathiewerbung des Ausrichters der Fußball-WM an. Das hat Deutschland früher auch so gemacht, und das ist legitim“, sagt Weise. Man wolle den Kinder- und Jugendbereich nicht zum Erliegen kommen lassen. Deshalb könne man auf das Geld nicht verzichten, die Entscheidung sei keine sportpolitische, sondern eine pragmatische. Es hatte im Vorfeld heftige Diskussionen gegeben, ob man die Spende annehmen soll – „greenwashing“ hin oder her.
Wohnortnahe Bewegungsfläche
Es sei eine Chance, pragmatisch und zukunftsweisend im Ahrtal eine Art Bewegungsraum-Modell zu schaffen. Darin sind sich Henn und der Sportwissenschaftler Lutz Thieme von der Hochschule Koblenz einig. „Wohnortnahe Bewegungsfläche“ ist eine Idee, die dem Koblenzer Professor Thieme gut gefällt- auch weil vielerorts Sportplätze aus Ahr nahen Ortslagen auf höher gelegene Flächen außerhalb der Ortschaften umziehen sollen oder müssen.Diese Flächen könnten sowohl Bewegungs- wie Kommunikationsplätze sein. Fitness-Parcours im Park oder am Waldrand sind weitere Vorschläge für innovativen Sportraum im Ahrtal. Natürlich muss man auch an DIN-genormte Hallen oder Plätze bei Bedarf denken, wenn es Sportarten oder Ligen erfordern. Aber die Bewegungsflächen von morgen sehen – nicht zuletzt wegen immer weniger Ressourcen – anders aus.
Sport als Rückkehr Motivationshilfe
Wie wichtig Vereine und Vereinsleben für Zusammenhalt und Lebensqualität sind, werde gerade in Krisen und nach Katastrophen wie diesen deutlich, sagt Thieme. Auch für Menschen – besonders Familien –, die sich überlegen, ob sie zurückkommen wollen ins Ahrtal, könnten attraktive Sportangebote auch eine kleine Rückkehr-Motivationshilfe sein: Neuanfang mit mehr Lebensqualität dank attraktiver sozialer, kultureller und bewegungsfreundlicher Angebote. Sport als Hoffnungsträger.
Nicht alle Kommunen haben nun den Sportstättenaufbau auf ihrer Agenda ganz vorne. Sie sollten aber die Wirkung für den sozialen Zusammenhalt nicht unterschätzen. Es sei ein sehr berührender und gleichzeitig fröhlicher Moment gewesen – sagen alle, die dabei waren, als vor kurzem die Bambini-Mannschaften auf dem wieder freigegebenen Platz spielten. „Als ich die Kleinen zwischen drei und sechs da rumwuseln sah – das war ein Stück vom alten Leben und die Rückkehr von Normalität nach Bad Bodendorf“, sagt Lutz Baumann.
Sport gibt also Hilfestellung – das heißt im Ahrtal nach Covid und der Flut: Nicht nur das sportliche, auch das soziale Leben ist nun wieder auf und am Spielfeld an ersten Orten zurück, bunt, hoffnungsvoll und fröhlich – vor allem dank der unermüdlich engagierten Ehrenamtlichen. Was vielleicht manchen Zuständigen bei Kommunen und Länder-Behörden in Bewegung versetzt, Anträge und Genehmigungsverfahren auf den Weg zu bringen, schnell zu bearbeiten und zu entscheiden. Und auch zwischendurch mal manche bürokratische Hürde für die Vereine unkonventionell abzuräumen.