BMI-Staatssekretär Markus Kerber über den Stand der Spitzensportreform, den Druck auf die Verbände und den langen Arm des DOSB
Berlin, 4. November. Anfang Dezember findet in Düsseldorf die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) statt. Neben den Wahlen ist nach wie vor das bestimmende Thema die Spitzensportreform, die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium vor nun fast vier Jahren in Angriff genommen wurde. Mit der Reform-Umsetzung kommt man nicht vorwärts, viele – und nicht nur Kritiker von außen – sehen sie gar als gescheitert. Mit der neuen Führung des Ministeriums gab es auch eine Kursänderung, denn die vorher klaren Ministeriums-Vorgaben sind offensichtlich nicht mehr so strikt. Staatssekretär Dr. Markus Kerber nimmt in einem autorisierten Interview dazu ebenso Stellung wie zum Stand der Umsetzung aus Sicht des BMI. Der gelernte Wirtschaftswissenschaftler war vor seiner Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) schon mal in politischen Diensten als Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium. Auch über das Bundesinteresse am Sport, warum DOSB, Verbände und auch AthletInnen nun mal in die Gänge kommen sollten, spricht Kerber, der seit April 2018 Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat ist. Dort ist er zuständig für Heimat und Sport. Wie das zusammenpasst und ob es den langen Arm des DOSB ins Ministerium gibt – auch dazu nimmt er Stellung.
Herr Dr. Kerber, wie wichtig ist denn heute Spitzensport für die Politik?
Kerber: Spitzensportler werden traditionell bei olympischen, paralympischen Wettbewerben oder Weltmeisterschaften als Vertreter Deutschlands gesehen. Sportler sind Botschafter unseres Landes – mit Erfolgen und Misserfolgen. Als die DFB-Auswahl bei der Weltmeisterschaft in Russland vorzeitig ausschied, hieß es: Die Deutschen können gar nichts mehr. Sport steht als Sinnbild für Deutschland. Darum ist für uns Spitzensport für die Repräsentation enorm wichtig. Der Spitzensport ist aber auch – das haben wir bei der Leichtathletik-Europameisterschaft wieder in Berlin gesehen – ein enormer Antriebsmotor für Integration. Er belegt für alle sichtbar, dass es etwas gibt, das Menschen zusammenführt und zu Spitzenleistungen beflügelt – obwohl sie aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Hier ist Spitzensport als Bundesinteresse und gesamtstaatliches Interesse schon sehr wichtig.
Das heißt also: Heute sind Repräsentanz und Integration die Bundesinteressen, um Spitzensport zu fördern?
Kerber: Ja, die Repräsentation Deutschlands ist der entscheidende Grund für die Spitzensportförderung durch den Bund. Was gab es denn früher noch für Gründe?
Zum Beispiel den Sport-Wettlauf zwischen Ost- und West, die bösen Kommunisten gegen die guten Kapitalisten – oder umgekehrt. Das fällt ja weg…
Kerber: Es gibt schon noch autoritäre Staaten, bei denen ich mir nicht sicher bin, mit welchen Trainingsmethoden die zum Beispiel ihre Spitzensportler ins Rennen schicken…
Das demokratische Deutschland muss doch nicht über Spitzensport und Medaillen beweisen, dass es ein leistungsfähiges, erfolgreiches und gutes Land ist. Braucht man dafür wirklich noch Spitzensport, der ja vor allem mit Doping oder Korruption in den letzten Jahren wieder vermehrt Schlagzeilen macht?
Kerber: Wenn ich mir den Anteil der Sportberichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften oder die Einschaltquoten bei Sportveranstaltungen anschaue, dann scheint Sport und somit auch der Spitzensport enormen Widerhall zu finden.
Das hat aber doch meistens mit dem Event-Charakter von Spitzensportereignissen zu tun, Leute wollen sich unterhalten lassen.
Kerber: Im Gegensatz zu vielen anderen Lebensbereichen können wir im Sport unsere Leistung noch direkt messen. Sport und Spitzensport gehören zum Alltag vieler. Ich bin immer wieder erstaunt, wie sich die Teilnehmer bei einem Triathlon oder einen Marathon schinden. Das sagt viel über Leistungsbereitschaft aus – auch eventuell über Leistungsbereitschaft in unserer Arbeitsgesellschaft. Und das überträgt sich dann auch auf die Politik. Wenn Sie sehen, wie viel Geld für Sportgeräte ausgegeben wird, etwa Fahrräder, da merkt man schon, dass Sport eine große Rolle im Alltagsleben der Menschen einnimmt. Ob das immer gut ist, bin ich mir nicht so sicher. Die Verbissenheit, mit der Menschen da manchmal gegeneinander antreten – etwa im Straßenverkehr – ist mit Händen zu fassen. Oder beim Freizeitsport: Im Seniorensport soll es mit die größte Dunkelziffer beim Missbrauch von Dopingmitteln geben.
Okay, wenn die Tour de France rollt, sind noch mehr gestylte Radler auf der Straße, wenn Fußball-WM ist, hängen alle vor dem Fernseher. Nochmal: Es gibt seriöse Untersuchungen und Umfragen, die sagen, dass BürgerInnen gerne Olympische Spiele oder andere Events schauen, aber keine Medaillen fordern. Sie freuen sich natürlich darüber – aber die Forderung nach Medaillen kommt immer von Politikern und FunktionärInnen.
Kerber: Bei Medaillen und Pokalen denke ich nicht an Politiker und Funktionäre, sondern an die Athleten und ihre Trainer, die sich wahnsinnig freuen über eine Medaille. Da sehe ich Tränen fließen, sehe im Zielraum den Sportler neben dem Trainer stehen, für den auch ein Lebenswerk in Erfüllung geht. Kann gut sein, dass die Bevölkerung sagt, mir sind persönlich die Medaillen nicht so wichtig, aber hat man schon einmal einen Kaderathleten gefragt?
Na, es wäre ja komisch, wenn AthletInnen keine Medaille wollten. Da tritt ja keiner an, um Letzter zu werden. Ist nicht der Hauptgrund für Medaillenforderungen, dass die Politik sich rechtfertigen muss, wofür sie so viel Steuergeld in den Spitzensport pumpt?
Kerber: Die Diskussion um die Leistungssportreform entzündete sich ja nach London 2012 , wo man im Medaillenspiegel abgerutscht war. Das Medienecho war: Warum sind wir so schlecht im Vergleich zu anderen Nationen? Durch die Medien hat sich Druck aufgebaut .
Weil sich sichtbare Erfolge nicht einstellten, obwohl ja immer behauptet wurde, es läge an den fehlenden finanziellen Mitteln. Es gab ja mehr…
Kerber: Das Medienecho von London war doch: Die Effizienz des deutschen Leistungssports ist nicht mehr gewährleistet, weil das Stützpunktsystem ineffizient ist, wir keine Trainer mit vergleichbaren Verträgen haben und dort ein Wildwuchs herrscht, die Organisation des deutschen Sports ineffizient und veraltet ist, es vielleicht zu viele Verbände, zu viele Funktionäre etc. gibt. Und, dass man immer mehr Geld braucht, um besser zu werden. Der vorherige Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sich mit dem DOSB auf ein quid pro quo eingelassen: Wenn der organisierte Sport mehr Geld braucht, muss er das begründen. Wir geben dann als Staat auch mehr Geld in der Erwartung, dass es mittel- und langfristig mehr Medaillen werden.
Medaillen haben besonders für Athleten handfeste wirtschaftliche Hintergründe. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über wachsende Kommerzialisierung und Professionalisierung im Spitzensport reden, die es nicht erleichtern, eine Leistungssportreform hinzukriegen, die allen gerecht wird.
Das wird doch dadurch gefördert, dass Sport und Politik besonders auch in Medien über Medaillen reden und jetzt auch wieder eine Reform machen, deren Ziel ist: Medaillen.
Kerber: Erfolgreicher Spitzensport wird natürlich auch an Medaillen gemessen. Aber auch zum Beispiel an erfolgreichen Trainern. Wo sind deutsche Trainer heute besonders erfolgreich? Im Fußball beispielsweise. Da spricht also viel dafür, dass wir bei der Trainerausbildung in Deutschland die Fußballer etwas richtig machen, aber anscheinend in manchen anderen Sportarten nicht alles bei der Trainerausbildung rund läuft. Daher wird im Rahmen der Reform auch untersucht, wo etwa deutsche Sportwissenschaftler oder Sportmediziner erfolgreich sind.
Das wissenschaftliche Verbundsystem steht ja im Rahmen der Reform auch auf dem Umsetzungs-Plan. Da müssen aber nicht nur strukturelle und inhaltliche Veränderungen passieren, auch in den Köpfen von vielen Sportverantwortlichen muss ein Umdenken einsetzen. Manche sehen ja Wissenschaft immer noch als Teufelszeug oder theoretischen Nonsens.
Kerber: Diese Ablehnung von Beratung finden Sie überall. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass man im normalen Alltag nicht ständig 800 Seiten umfassende Konzepte oder Untersuchungen lesen kann.
Das ist dann die Stunde der klaren und kurzen Zusammenfassung.
Kerber: Im Sport ist es besonders wichtig, dass man junge Athleten optimal betreut und berät. Wenn Athleten in ihrem analogen sportlichen realen Umfeld eine gute Verzahnung von Sportmedizin, Trainingswissenschaft, Sportpsychologie und kommerzieller und beruflicher Beratung nicht angeboten bekommen, dann holen sie sich diese aus dem Internet. Da hinkt die analoge Welt der Verbände und Institutionen mitunter hinterher. Und deshalb müssen wir Druck ausüben, dass sich in diesem Bereich bei den Verbänden etwas ändert.
Wenn man das Reform-Papier liest kommt man zu dem Fazit: Super-Analyse, gute Verbesserungs-Ideen, aber hatten wir ja alles schon. In den letzten 30 Jahren gab es mindestens drei Versuche, den deutschen Spitzensport zu reformieren, die allesamt gescheitert sind. Die Themen von damals sind die Themen von heute. Das Duo Trainer/Athlet soll mal wieder im Mittelpunkt stehen – aber irgendwie reden alle eigentlich nur über Geld.
Kerber: In der Tat, die Diskussion führt man seit 30 Jahren. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sich im Sport – wie in allen Gesellschaftsbereichen – vieles nur sehr langsam verändert. Aber ohne die Hinwendung auf Athleten, Trainer und Betreuer sowie das Heranführen von Perspektivathleten wird sich im deutschen Spitzensport nichts verändern. Die schauen heute ganz genau, ob es für sie optimale Trainingsbedingungen mit einem optimalen Umfeld gibt. Wenn nicht, dann steigen sie aus. Wir verlieren sehr viele Talente, weil wir sie entweder zu stark in die Silos stecken – will sagen: sie sind zu sehr nur auf eine Sportart fixiert. Wenn sie da an ihre Grenzen kommen, wird nicht darauf geachtet, ob sie vielleicht für eine andere Disziplin oder Sportart mehr begabt wären. Wir haben immer noch viel zu wenig interdisziplinäre Ansätze.
Das sind wichtige Themen dieser Reform. Aber geredet wird neben dem Geld über den Streit um die Stützpunkte. Man blickt nicht mehr durch: Spielregeln werden im laufenden Verfahren verändert, der Minister sagt, kein Stützpunkt wird geschlossen, aus der Abteilung kommen andere Signale – alle sind verwirrt. Und was ist mit der Transparenz, die gerade auch das BMI mit der Reform versprochen hat? Fehlanzeige.
Kerber: Was die Leistungssportreform angeht, sind wir mitten in der Umsetzung, in den Mühen der Ebene. Wenn so ein Papier konzipiert wird, dann sagen alle am Grünen Tisch: So machen wir es. Und Überraschung: In der Umsetzungsphase ist auf einmal alles viel schwieriger.
Ein praktisches Beispiel: Der Sportetat ist ja relativ schnell gewachsen – auf rund 188 Millionen im Jahr 2018. Das bedeutet für das Ministerium, dass wir jetzt auch 30 bis 40 Prozent mehr Förderanträge bearbeiten müssen. Die Sportverbände haben ebenso mehr Arbeit. Und Anträge zu stellen, das hat heute eine andere Qualität als noch vor Jahren. Sie müssen sehr detailliert sein. Da reicht es nicht, wenn aufgeführt wird: Ich brauche 200 000 Euro für drei Trainer.
Diese Antrags-Problematik ist auch nicht ganz neu.
Kerber: Die Mitgliedsverbände des DOSB wollten mehr Geld. Das haben sie bekommen, und nun müssen sie die Anträge so vorlegen, wie es gefordert wird. Das gelingt nicht immer. Und wir brauchen natürlich auch Zeit, um Anträge zu bearbeiten. Das hat uns Kritik von Seiten des DOSB eingebracht, wir seien nicht gut aufgestellt. Das ist nicht ganz unberechtigt. Wir hätten auch mehr Personal einstellen müssen. Aber der genaue Verwaltungsaufwand zeigt sich eben erst in der Umsetzung einer Reform.
Das hätte aber doch allen klar sein müssen?
Kerber: Ich bin da sehr selbstkritisch. Wir haben bald mehr Personal, das pendelt sich alles ein. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Mittel auch alle abfließen. Der Sport muss die Mittel auch abrufen, was nicht immer gelingt. Aber wir sind auf einem guten Weg.
Also bessere Organisation?
Kerber: Durch die Professionalisierung und Kommerzialisierung anderer Nationen steigt der Druck auf das deutsche Sportsystem, das ja föderal und auf Ausgleich angelegt ist, in dem jeder etwas abbekommen soll. Gleichzeitig möchte der deutsche Sport genauso professionell sein wie China, USA und Großbritannien – das geht momentan schlicht nicht zusammen. Es wird am Ende nicht nur am Geld liegen, wenn es um die Professionalität im deutschen Sport geht. Der organisierte Sport muss sich grundlegend umorganisieren. Die hierfür notwendigen Veränderungen im verbandlichen Sport wird nicht nur das BMI, sondern werden sicherlich auch die Sponsoren mit Interesse verfolgen.
Nochmal zum Stützpunktsystem. Im Papier wollte man zentralisieren, Kräfte bündeln, das Beste für die Besten und angehend Besten. Mit der Idee scheiterte man, wie gesagt, schon mehrfach. Jetzt ist es offensichtlich wieder so?
Kerber: Zunächst ein Wort zu den Olympiastützpunkten: Statt 19 Träger wird es nun 13 geben – da sind wir kurz vor dem Ziel, wenn Nordrhein-Westfalen und Sachsen unterschrieben haben
Bei dem jetzt ablaufenden Zyklus hatten wir 204 Bundesstützpunkte, verteilt auf den Winter- und den Sommersport. Die staatliche Anerkennung als Bundesstützpunkt ist zunächst einmal ein Prädikat, das man sich als Messingschild an die Hallentür schrauben kann. Was ja manchmal vor Ort enorm wichtig ist. Davon abkoppeln muss man aber, welcher Stützpunkt auch gefördert wird. Das eigentliche Ziel in dem Reformpapier war, dass wir unsere Förderung konzentrieren. Alle Beteiligten haben das gelesen und unterschrieben. Als es jetzt aber um die Umsetzung ging, war der Aufschrei jedoch groß.
Das wundert Sie aber nicht, oder?
Kerber: Wir sind weiterhin der Meinung, dass wir keine 204 Bundesstützpunkte in 16 Bundesländern brauchen. In dem Reformpapier wurde vereinbart, dass bis zu 20 Prozent der Stützpunkte geschlossen werden, das heißt etwa 40 bis 45. Das BMI hat eine Streich-Liste zusammengestellt und den DOSB um seine sportfachliche Stellungnahme gebeten. Der DOSB hat immerhin 14 Bundesstützpunkte benannt. Aber es sollten mehr als das Doppelte sein..
Es gibt einzelne Bundesstützpunkte ohne Bundeskader. Das kann nicht im Bundesinteresse liegen. Auch hier muss sich bis 2020 etwas tun. Die Auseinandersetzung zwischen dem DOSB und dem Ministerium entzündete sich ja an der Frage: Was machen wir mit den bis 2020 anerkannten Bundesstützpunkten? Ergebnis: Wir nehmen uns etwas mehr Zeit und berücksichtigen dabei etwas mehr das Politikziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse und die Bedeutung von Präsenz in der Fläche. Dennoch müssen wir bei allen Verbänden die Umsetzung der Reform, die Konzentration der Bundesstützpunkte einfordern und uns nicht auf den Schultern derer ausruhen, die diesen Schritt gegangen sind. Es muss einen Ausgleich zwischen sportfachlichem Votum und Bundesinteresse geben. Das müssen auch diejenigen in Verbänden und Politik begreifen, die immer noch argumentieren: Sie können gerne in anderen Bundesländern Stützpunkte schließen, aber auf keinen Fall bei uns..
Das ist aber nicht neu.
Kerber: Vielleicht sollten sich auch die Athleten zu Wort melden, für die wir diese ganze Leistungssportreform machen. Ich denke, auch die Sportler müssten die Reform aktiv in die Verbände hineintragen. Wenn kein Mehrwert bei den Athleten und Trainern ankommt, müssen sie ihre Verbandsverantwortlichen drängen, endlich die notwendigen Reformschritte zu gehen. Wir können ja nicht einfach nach dem Gießkannenprinzip Steuergelder ausgeben. Und es geht auch um den Grundsatz der Gleichbehandlung: Wir fördern die olympischen Athleten soweit sie jährliche Einnahmen unter 45.000 Euro haben, nicht aber wenn sie z.B. aus Sponsoringverträgen hohe Einnahmen haben.
Forderungen von AthletInnen etwa nach finanzieller Absicherung, Renteneinzahlungen etc. finden nicht alle gut. Sie fragen: Nach welchem Recht werden SpitzensportlerInnen, die eigentlich ihrem Hobby frönen, vom Staat gepampert? Wie ist denn der Diskussionsstand da?
Kerber: Die Diskussion geht jetzt erst richtig los. Es steht jedem Spitzensportler frei, zur Bundeswehr, Bundespolizei oder zur Zollverwaltung zu gehen. Doch wer in einer Sportfördergruppe staatliche Unterstützung und ein Einkommen haben möchte, der muss aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Gegengeschäft mit uns machen. So wie der Beamte, der eben auch regelmäßig loyal seiner Arbeit nachgehen muss, um alimentiert und am Ende seines Berufslebens Pensionsansprüche zu haben. Auch diejenigen, die studieren oder anderen Beschäftigungen nachgehen, müssen nachweisen, dass sie zu Recht eine Förderung bekommen.
Da haben wir ja dann richtige Staatssportler.
Kerber: Eine erfolgreiche Spitzensportreform umzusetzen heißt auch, dass sich die Athleten bewegen müssen – in jeder Hinsicht. Auch wenn es um die Konzentration von Stützpunkten geht.
Unter den 38 olympischen Spitzenverbänden müssen wohl manche ihre bisherige Haltung überdenken. Einige wollen endlich – auf Grundlage der PotAS-Ergebnisse – die Reform umsetzen und sich nicht von denen aufhalten lassen, die das nicht wollen. Hier werden auf den DOSB noch schwierige Monate und Jahre zukommen.
Wie weit kann der Staat gehen, den professionalisierten und kommerzialisierten Sport überhaupt noch zu unterstützen? Müsste man nicht neue Modelle entwickeln? Da wäre ja dann auch der DOSB wieder gefordert. Momentan verfestigt sich der Eindruck, der Staat – vor allem der Bund – fördert kommerzielle Sport-Events und „Profisport“. Das bringt den staatlichen Geldgeber doch zwangsläufig irgendwann in die gesetzliche Bredouille.
Kerber: Wir sind ganz klar für eine Professionalisierung: Qualitativ muss der Staat – etwa im Bereich Sportwissenschaften – Universitäten und Institute fördern, Top-Material und Top-Personal zur Verfügung stellen, um Höchstleistungen zu erreichen. Im Übrigen haben Sie Recht: je mehr sich der Sport professionalisiert, desto mehr ist Kommerzialisierung die Folge. Bei den erfolgreichen Athleten kommt dann ja auch mehr Geld an. Für diese gut verdienenden Spitzensportler sind wir irgendwann nicht mehr zuständig – die sind aus dem System dann raus. Wir werden in vielen Sportarten in den nächsten zehn, zwanzig Jahren eine ähnliche Entwicklung wie im Fußball oder Tennis beobachten. Das heißt auch, dass Athleten ihre eigenen Manager und Berater haben werden. Teilweise haben sie sie ja schon. Überhaupt ist zu überlegen, ob man sich nicht neu aufstellen muss: Hier das Ministerium, dort der DOSB, die Fachverbände und die Athleten – vielleicht müssen auch wir im Ministerium Dinge an unseren nachgeordneten Verwaltungsbereich abgeben.
Was heißt das? So was wie ein Mini-Sportministerium?
Kerber: Dazu sind die Haushaltsmittel, auch wenn Sie hoch anmuten, viel zu klein. Aber man muss darüber nachdenken, ob den 40 Mitarbeitern in der Sportabteilung des Ministeriums zuzumuten ist,diesen großen Aufgabenbereich des Sports kleinteilig zu verwalten: Es geht ja da nicht nur um den DOSB. Wir haben ja auch noch den paralympischen Sport, die NADA, das Thema Sport und Integration und noch vieles Weitere. Gerade im paralympischen Sport spielt zum Beispiel die Technologieentwicklung, das Zusammenspiel Mensch/Maschine eine immer größere Rolle. Spannende Themen, die es weiter zu fördern gilt.
Wird denn, nach Ihrer Einschätzung, das Gemeinschaftswerk Reform ein erfolgreiches Ende haben?
Kerber: Wie gesagt: Wir sind mitten in der Reform. Der Sport muss das schaffen. Er hat ja gar keine Alternative. Der Ball liegt jetzt bei den Verbänden und dem Dachverband DOSB, die müssen sich bewegen und handeln. Wir im BMI haben das meiste getan, im Haushalt ist Vorsorge getroffen. Jetzt wünsche ich den Athleten und Trainern, dass in ihrem Sinne auch etwas passiert.
Herr Kerber, Sie sind ja im BMI nicht nur für Sport, sondern auch Heimat zuständig. Interessant ist, dass u.a. die Nicht-Schließung von Bundesstützpunkten jetzt auch damit begründet wird, dass man ländliche und regionale Strukturen mit solchen Einrichtungen festigen und unterstützen will. Kommunen, gerade auch in Bayern, klagen über teuren Unterhalt von Stützpunkten und anderen Sportanlagen. Macht es da nicht mehr Sinn, Geld im ländlichen Raum für die Sanierung von Sportanlagen, Hallen, Schwimmbädern, Bolzplätzen oder in Vereine zu investieren, die auch auf vielen Ebenen um ihr Überleben kämpfen?
Kerber: Wir haben im BMI die Federführung für die Regierungskommission Gleichwertige Lebensverhältnisse, die Ende September ihre Arbeit aufgenommen hat. Da wird es auch darum gehen, welche öffentlichen Bauten – dazu zählen unter Umständen auch Sportstätten – zukünftig gefördert werden sollen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass ein Sonderprogramm Sportstätten aufgelegt wird, durch das Bundesstützpunkte und andere Sportstätten sinnvoll miteinander verknüpft werden könnten. ich will aber den Ergebnissen der Kommissionsarbeit nicht vorgreifen – im Juni nächsten Jahres soll der Abschlussbericht vorliegen, dann wissen wir mehr.
Sie haben zu Anfang auch von der sozialen Komponente des Sports im Zusammenhang mit Integration gesprochen. Welche Rolle spielt die in den Überlegungen?
Kerber: Bund, Länder und Kommunen sollten sich Gedanken zu einem sport- und baupolitischen Programm machen, das Integrationsthemen aufnimmt – auch im Bereich der Spitzensportreform.
In letzter Zeit hat sich der Eindruck in der Öffentlichkeit verstärkt, dass parteipolitische Verbindungen des DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann mit Minister Horst Seehofer und Staatssekretär Stephan Mayer nicht nur dessen Lobbyarbeit erleichtert, sondern auch Entscheidungen beeinflusst haben, die den bisher verfolgten Reformkurs konterkarieren und die hauseigene Sportabteilung vor vollendete Tatsachen stellt. Wie lang reicht denn der Arm des DOSB-Präsidenten ins Ministerium?
Kerber: Wir sind an Recht und Gesetz gebunden. Auch ein Spitzenverband kann keine Wunder bewirken. Das ist beim DOSB nicht anders, der als Interessenvertreter seine Arbeit macht. Wenn Verbände uns Anliegen vortragen, nehmen wir die stichhaltigen Punkte auf und versuchen diese umzusetzen. Das letzte Wort hat aber immer noch das Parlament.