Kommt ein Sport-Staatsminister um die Ecke?

Verbandspräsidenten und DOSB kramen alte Idee aus / CDU springt darauf an

Berlin, 29. Januar.- Mit typisch deutscher Arroganz haben wir den us-amerikanischen Wahlkampf kommentiert. Und nun verbeißen sich gerade vermeintlich seriöse Wahlkämpfer in der Migrationspolitik – und erledigen das Geschäft der Rechten. Andere Themen geraten in den Hintergrund. Dennoch, wer Wahlprogramme liest und ab und an aufmerksam Nachrichten verfolgt, stolpert schon über das eine oder andere weiter  Überraschende.  Etwa, wenn sich nun manche auch über den Sport profilieren möchten – und bei ihren Ausführungen über Sieger- und Teilnehmerurkunden der Bundesjugendspiele, angeblich E- und F-Jugend-Fußballspiele ohne Torschüsse oder Olympia Ein- und Auslassungen schwadronieren. Man wundert sich doch, welche Menschen sich da als Kandidaten-Flüsterer betätigen. Da wird einem dann schon bange, wenn nun auch noch die alte Idee vom Sportstaatsminister ausgegraben wird.

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis… oder kramt eben alte Ideen aus der Schublade. Und so ein Vorschlag wabert seit geraumer Zeit durch die Republik und hat nun auch den Wahlkampf erreicht: Ein Staatsminister im Kanzleramt soll den organisierten deutschen Sport aus dem tiefen Tal heraus manövrieren und ihm zu neuen Höhenflügen verhelfen. Zumindest, wenn es nach Friedrich Merz und seiner CDU geht. Und nach SPD-Sportfunktionären. Und manchem, der sich schon mal vorsorglich für den neuen Posten warm läuft. Abspecken von Posten und Bürokratie sieht allerdings anders aus.

Nun gut – ein Sportministerium. Eine Idee, die schon mal in den 1980er Jahren diskutiert wurde, aber dann in der Ablage verschwand, weil mancher Sportfunktionär damals seine Felle davonschwimmen sah, man der Meinung war, der Sport sei politisch gut aufgestellt und versorgt. SPD-Veteran Friedrich Julius Beucher kam 1999 als Sportausschussvorsitzender in der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder auch darauf, den Sport zu ministrieren. Damals verweigerte ihm sein Parteikollege Otto Schily die Unterstützung für den Vorschlag. Wäre ja noch schöner, das Ressort Sport abzugeben. Wahrscheinlich hatte Schily einen ähnlichen Grund wie einer seiner Nach-Nachfolger im Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI). Denn Horst Seehofer (CSU) beschrieb sein Engagement für den Sport so: „Als Bundesinnenminister möchte man sich auch mal mit was Schönem beschäftigen.“

Auf der Strecke geblieben

Mittlerweile dürften manche im BMI darüber anders denken: Die dauernden Auseinandersetzungen um den Weg und die Förderung des Spitzensports zwischen BMI und Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) haben auf beiden Seiten Spuren hinterlassen und manchem den Spaß am Arbeitsfeld Sport verhagelt.

Mit neuer Besetzung auf beiden Seiten wollte man vieles in der Ampelkoalition und im DOSB besser machen. Die Tonlage hat sich positiv verändert, aber mit fast allem, was auf den Weg gebracht werden sollte, blieb man auf der Strecke: Kein Sportfördergesetz mit dem Highlight Leistungssportagentur, die die neue Erfolgsschmiede des deutschen Sport werden soll. Auch beim Sport-Entwicklungsplan kam nichts außer einer Bestandsaufnahme heraus.

Was nun also? Keine Offensive, kein Plan auf der Mitgliederversammlung, wie es weitergehen sollte, nachdem die Regierung sich zerlegt hatte und damit auch das geplante Gesetz steckenblieb. Kurz nachdem die Heiligen drei Könige durch die Lande gezogen waren, stellten sich drei Sportfürsten, gleichzeitig SPD-Mitglieder, der Wochenzeitung „Die Zeit“ den Fragen zweier Journalisten zum Thema, wie es im deutschen Sport weitergehen soll, nachdem das Medaillen-Zählen im Haus des Sports in Frankfurt mittlerweile nach Olympischen Spielen zu schnell endet und Kinder nicht mal mehr Purzelbäume schlagen können.

Totschlag-Argument Olympia

Es folgten: Standardantworten von den Präsidenten Bernd Neuendorf (Fußball), Friedrich Julius Beucher (Behindertensportverband) und Thomas Weikert (Deutscher Olympischer Sportbund). Und natürlich das Totschlag-Argument: Olympische Spiele als Allheilmittel für alle Probleme im Sport, in der Infrastruktur, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt etc.

Und dann kommt Genosse Beucher auch noch mit dem Staatsminister im Kanzleramt um die Ecke. Mit dem Verweis auf das Staatsministerium für Kultur. Daran könne man sehen, wie man da seine Anliegen präsentieren könnte.

Biegen wir kurz ab ins Amt der „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien des Bundes“, Claudia Roth. Die Grünen-Politikerin, seit 2021 im Amt, ist als Staatsministerin direkt dem Bundeskanzler zugeordnet und nimmt an Sitzungen des Kabinetts teil. Sie ist Leiterin einer obersten Bundesbehörde mit rund 450 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Berlin und Bonn.

Imponierend nicht nur im Bezug auf den Personal-Bestand. Allerdings passt das so gar nicht zum Wunsch nach Bürokratie-Abbau, den der Sport doch fordert. Auch wenn der Apparat eines Sportministers vielleicht nicht ganz so umfangreich würde. (Jetzt versteht man auch, warum das Kanzleramt vergrößert wird!)

Aufgaben für den Staatsminister

Wie also sähe die Aufgabenbeschreibung eines Sport-Staatsministers aus? Soll der nur Geld verteilen? Wer bestimmt die Inhalte? Welche Rahmenbedingungen gelten, werden weiterentwickelt oder verbessert? Wer entscheidet, was wie gefördert werden soll? Was wird aus der Sportabteilung im zuständigen BMI? Was macht der DOSB?

Sport ist eine Querschnittsaufgabe, sagen die Befürworter eines Sportstaatsministers. Sport muss überall dort mit am Tisch sitzen, wo es ihn betrifft. Hat bisher nicht besonders geklappt. Beispielsweise im Gesundheitsministerium stand der Sport nicht unbedingt im Fokus. Deshalb wäre das Andocken ans Kanzleramt richtig. Auf den ersten Blick: Ja, könnte sein. Gebündelte Entscheidungskompetenzen, die man sich aus anderen Ministerien wie Gesundheit, Jugend und Familie, Bau oder Verteidigung holen würde, könnten manches erleichtern, etwa Abstimmungsprozesse beschleunigen. Ob es weniger Bürokratie geben würde,  bleibt dahingestellt, vor allem, wenn es dann um die finanzielle Ausstattung des „Sportministeriums“ geht.

Um dem Sport die seit langem immer wieder geforderte „starke Stimme“ zu geben, kündigt  die CDU zum Beispiel in ihrem Wahlprogramm folgendes an: „Wir ordnen die politischen Strukturen des Sports neu, siedeln die Sportpolitik im Bundeskanzleramt an und ernennen einen Staatsminister für Sport und Ehrenamt. Für die kommende Wahlperiode stellen wir sicher, dass die Sportmilliarde zur Verfügung steht.“ Wenn das so einfach wäre, wie es sich liest…

Gesetz in den Schredder

Würde das so umgesetzt, und kommt also ein Staatsminister, dann stellt sich auch die Frage: Was wird aus dem Sportfördergesetz und der Leistungssport-Agentur? Da sollten DOSB und BMI schon mal den Schredder bereitstellen – denn, so wie man sich das alles gedacht hat, wird das wohl nicht mehr umsetzbar sein. Es ist schwer vorstellbar, dass das BMI dann etwa die Leistungssport-Agentur „betreut“ und die Agentur „unabhängig“ vom Kanzleramt arbeiten kann.

Die Konflikte zwischen Kanzleramt und Ministerium, ohne dass der Sport sich schon eingemischt hat, kann man förmlich schon aufsteigen sehen.

Manche, die ohnehin so ihre Zweifel an dem Fördergesetz hatten – und das scheinen doch im Sport sehr viele zu sein –, mögen aufatmen, um gleich wieder nach Luft zu schnappen, sobald sie richtig über den neuen/alten Vorschlag nachdenken.

Der Sport war schon immer eine Art Staat im Staate, agierte nicht nur in fachlicher Hinsicht nach seinen Regeln, sondern hat(te) in vielen Bereichen eine Sonderrolle. Und er fordert die immer noch ein, was in einem Wort zusammengefasst „Autonomie“ heißt.

Also: Wie ist es um die Autonomie bestellt, wenn der Ruf nach einem „Sportministerium“ erhört wird? Und die Frage an Weikert & Co: Glauben Sie ernsthaft, dass der deutsche (Spitzen-) Sport aus den Puschen kommt, nur weil es ein neues  Ministerium gibt?

Sportpolitische Kompetenz

Ein kurzer Blick ins Nachbarland Schweiz: Dort gibt es das Bundesamt für Sport – das BASPO in Magglingen. Dieses Amt „fördert den Sport und die Bewegung in der Schweiz und deren positive, nützliche und notwendige Rolle in der Gesellschaft. Es ist ein Dienstleistungs-, Ausbildungs- und Trainingszentrum für den Schweizer Sport und sportwissenschaftliches Kompetenzzentrum“, heißt es in der Vorstellung.

Hört sich vernünftig an, und wenn man sich mehr damit beschäftigt, erkennt man große Vorteile, wenn Kompetenz und Wissen zusammengeführt werden. Könnte ein solches Modell, zugeschnitten für den  deutschen Sport, ein prestigeträchtiges Zukunftsprojekt sein? Nicht  zuletzt deswegen, weil man auch personelle und finanzielle Ressourcen einsparen könnte? 

Wahlforderungen fordern Widerspruch heraus

Aber nun ist die Idee vom Staatsminister in der Welt, die erneut die sportpolitische Kompetenz mancher führenden Funktionäre in eigener Sache in Frage stellt. Allein die zehn Wahlforderungen des DOSB an die Politik, die die Mitgliederversammlung abnickte, fordern zum Widerspruch heraus. Wäre es denn nicht an der Zeit, endlich mal selbst eine Strategie zu entwickeln, wie der Sport der Zukunft aussehen soll – in der Breite wie in der Spitze?  Immer wieder aufzuzählen, manchmal ja auch zu Recht, was von anderen, in diesem Fall der Politik, erwartet wird, ohne selbst kreative Vorschläge zu machen und ein Ziel vorzugeben, wird auf Dauer als sportpolitisches Konzept nicht reichen. Ebenso wenig wie Lobbyarbeit, die sich in der Suche nach neuen Geldquellen aus dem Staatssäckel erschöpft.

Und immer wieder beschwören Politik und Sport die Sportnation Deutschland. Hier kann man es immer nur wiederholen: Davon ist diese Republik weit entfernt.

Sportpolitische Pfähle

Der ehemalige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, der für den ausgeschiedenen  DOSB-Vorstandsvorsitzenden Torsten Burmester nun versucht, in seiner kurzen Interimszeit sportpolitische Pfosten für den DOSB zu setzen, um die kommende Regierung nicht nur für ein olympisches Bewerbungs-Bekenntnis zu begeistern, sondern auch Taten folgen zu lassen, ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden.

Gerade er weiß, wie schwer es ist, in Krisenzeiten, angesichts mauer Kassenlage und wachsender Aufgaben Ländern und Kommunen, die 90 Prozent der Sportförderung in diesem Land tragen, Mittel für den Sport aus dem Kreuz zu leiern. Und auch, dass Forderungen für eine finanziell gut ausgestattete Leistungssport AG oder ein Sportfördergesetz momentan angesichts der politischen Gemengelage nicht bei allen gut ankommen, kaum mehrheitsfähig sind und auf der To-do-Liste nach hinten rutschen.

Nicht nur in den Wahlprogrammen der Parteien wird der politische Stellenwert des Sports deutlich: Er ist die schönste Nebensache der Welt. Die eigene Einschätzung ist da ganz anders. Gerne sieht sich der DOSB als bedeutender gesellschaftlicher Player mit seinen über 28 Millionen Mitgliedschaften. Doch um der wirklich zu sein, dafür tut er zu wenig und konzentriert sich nach wie vor zu sehr auf das O in seinem Namen – das Olympische.

Kakophonie

Als 2006 der DOSB mit dem Nationalen Olympischen Komitee von Deutschland fusionierte, war ein Hauptgrund für den Zusammenschluss: Der Sport sollte endlich mit einer Stimme, einer starken Stimme für alle im Sport sprechen. Chance vertan – es herrscht Kakophonie.

Aber vielleicht wird bald ein Staatsminister im Kanzleramt dem Sport eine starke Stimme verleihen. Und das wird dann vermutlich für einen ganz anderen (Spitzen-) Sport sein, als ihn sich die Peergroup- und die Sportverantwortlichen vorgestellt haben und ihnen lieb sein kann: Der organisierte Sport wird dann vor allem von der Politik und nicht vom DOSB gesteuert.