Aktuelle Stunde zur Sportpolitik /Ein Kommentar
Berlin, 24.April. „Unzureichende Sportpolitik der Bundesregierung – Wege für einen Neustart suchen.“ Unter diesem Titel lief auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion am Mittwoch eine Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag, was in der jüngeren Parlaments-Historie zum ersten Mal passierte. Aber besondere Ereignisse haben eben besonderes zur Folge – nämlich eben diese Debatte, wie Stephan Mayer (CSU), Sprecher seiner Fraktion im Sportausschuss, zu Beginn seiner Rede betonte.
Man fragt sich schon nach kurzer Zeit des Zuhörens: Was wollen die Initiatoren mit dieser Veranstaltung dem Publikum denn nun eigentlich sagen? Dass sie diametral entgegengesetzte Einschätzungen zum sportpolitischen Geschehen haben? Dafür braucht es keine Debatte zur guten Sendezeit am Nachmittag. Nein, es war keine Sternstunde parlamentarischer Sportpolitik. Und erneut verplemperten die Protagonisten eine Chance. Der Bauchladen Sport wurde wieder mal geöffnet, und jeder bediente sich nach seinem Gusto daraus. Diese Aktuelle Stunde war eine weitere Lehrstunde, wie diffus, teilweise populistisch und eigene Themen priorisierend hierzulande über Sportpolitik diskutiert wird.
Warum nun ausgerechnet vor der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land und nur noch wenige Monate vor den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris die Union diese Aktuelle Stunde zum Sport auf die Tagesordnung hievte, bleibt ihr Geheimnis. Wäre es nicht sinnvoller und inhaltlich ergiebiger gewesen, nach den beiden Großereignissen über den dann aktuellen Stand des deutschen Spitzensports zu diskutieren und entsprechende Stellschrauben anzusetzen?
Nein, man konnte wohl nicht abwarten, folgt man Stephan Mayer, ehemals parlamentarischer Staatssekretär bei Horst Seehofer im Bundesinnenministerium und maßgeblich an der Gestaltung des deutschen Sports und der gescheiterten Spitzensportreform der Vorgänger-Regierung beteiligt. Die Sportpolitik der amtierenden Regierung und der amtierenden Bundesinnnenministerin sei ein Desaster, lässt er das Publikum wissen. Auch der Referentenentwurf zum Sportfördergesetz habe wie der Bewegungsgipfel und der zurückgezogene Sportentwicklungsplan im Sport bei Verbänden und Vereinen Kritik, Unmut und Entrüstung ausgelöst.
Wenn ein ehemaliger Staatssekretär, der auch so seine eigenen Erfahrungen im Zusammenspiel zwischen BMI und Deutschem Olympischem Sportbund (DOSB) gemacht hat, so etwas sagt, dann klingt das ziemlich spooky: Wie war das nochmal, als er und Minister Seehofer am Ball waren? War da nicht irgendwann, als vieles aus dem Ruder lief, die Rede davon: Der Sport kann es nicht, deshalb muss die Politik das Steuer in die Hand nehmen?
Hatte man da nicht auch Gegenwind aus der Dachorganisation und seinen Mitgliedsverbänden. Und den Ländern und Landessportbünden? Und ähnliche Auseinandersetzungen? Und jetzt also ist man wieder Sport-Sprachrohr? Was ist wohl der Plan im sportpolitischen Spiel?
Mayer kennt sich gut aus im deutschen Sport, ist überall im Spiel, weiß über Fallstricke Bescheid und weiß nicht nur, sondern hat es auch erlebt, wie schnell man im Sport an den verkrusteten Strukturen und sturen Funktionären scheitern kann.
Die Ampel-Regierung erlebt nun auch, wie schwierig es ist, über Jahrzehnte gewachsene Systemstrukturen aufzubrechen. Und die SPD-Sprecherin Sabine Poschmann erklärt die Attacke des Bayern als populistisch, lobt Ministerin Nancy Faeser und die Regierung, die den deutschen Sport auf Kurs bringt – mit dem gescholtenen Gesetz, mit dem Entwicklungsplan, der im Sommer in Zweitauflage vorgelegt werden soll.
Philipp Hartewig (FDP) beklagt, dass immer mehr Geld in den Sport geflossen ist, aber immer weniger Output kommt. Treffend ist seine Analyse, das liege an der mangelnden Zielgenauigkeit bei der Mittelvergabe in einem sich selbst lähmenden Sportfördersystem, das auch Erfolge verhindert. Von einem Sportfördergesetz erhofft er sich eine unbürokratische, sportfachliche und strategische Steuerung und Förderung aus einer Hand.
Dagegen ist Sportausschuss-Veteran André Hahn (Die Linke) sehr pessimistisch: Er bescheinigt der Bundesregierung in jeder Hinsicht eine „völlig verfehlte Sportpolitik“.
Ist das wirklich so? Diese Aktuelle Stunde zeigte nicht nur wie diffus diskutiert wird, sondern wie schwierig es ist darzustellen, was Vielfalt im Sport auch bedeutet. Philip Krämer (Grüne) spricht über Wertevermittlung im Sport, den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, die klare Haltung gegen die Teilnahme von russischen und belarussischen AthletInnen in Paris. Dann geht es um Medaillenstreben und positives Denken über Leistung. Dann wieder um Gleichstellung und Frauen im Sport.
Es geht nicht um unzureichende Sportpolitik, wie im Antrag beklagt, sondern eigentlich darum: Welche Sportpolitik soll es denn nun in dieser Republik sein? Dieser Diskussion weicht man seit Jahrzehnten aus – und verliert sich im babylonischen Aufgabenwirrwarr, Kompetenz- und Zuständigkeitsgerangel, weil weder der organisierte Sport noch die Politik Kompass und Ziele vor Augen haben.
Dabei kommen dann solche Debatten heraus. Diese Aktuelle Stunde schreckte nicht nur Sportinteressierte mal wieder ab. Und BürgerInnen für Sport(politik) begeistern geht nun wirklich anders.