Athleten Deutschland luden SportlerInnen und Verbandsvertreter zum Dialog
Berlin 2.Mai. Rassismus im Leistungsport – (k)ein Thema? Doch! Zumindest zeigte das ein Austausch zwischen AthletInnen und VerbandsvertreterInnen, den der Verein „Athleten Deutschland“ organisiert hatte. Eine erste Annäherung, eine „gute Diskussion und gute Ansätze“, so das Fazit von Mario Woldt, Sportdirektor des Deutschen Ruderverbandes (DRV) in einem Telefonat. Spätestens seitdem die „Black Lives Matter“-Bewegung nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd durch einen mittlerweile verurteilten Polizisten in den USA wieder in den Vordergrund gerückt ist, hat in Deutschland das Thema Rassismus wieder Fahrt aufgenommen. Auch im modernen Sport, gehörte und gehört für People of Color (POC) von Anfang an zynischer Weise Rassismus fast schon zur Trainings- und Wettkampfeinheit.
Natürlich sind alle im Sport ganz schnell dabei, sich mit Abscheu und Empörung gegen Rassismus auszusprechen. Schließlich pflegen SportfunktionärInnen das Narrativ vom einigenden, über alle Grenzen hinweg verbindenden Sport, von seinen Werten des Fairplay und der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung. „Sport verbindet, Sport ist Vielfalt, Sport spricht alle Sprachen“ sind Slogans mit denen der Sport sich als Universalmittel für kulturübergreifende Verständigung und Toleranz empfiehlt.
Doch mittlerweile sind die ewig Gestrigen, die rechten neuen und alten Herrenmenschen, die Hasser intensiver denn je auf ihrem Kreuzzug nicht nur auf den Straßen, sondern ganz besonders in sozialen Medien: Fremdheit, Rassismus, Migration, Ethnizität sind Themen, mit denen sie uns alle, aber auch die Demokratie auf die Probe stellen.
Gut gemeint reicht nicht
Gut gemeinte Appelle, Hochglanzbroschüren und gestylte Aktionen oder Integrationsprogramme, die Sportdachorganisationen und Verbände wie der Deutsche Fußball-Bund seit Jahrzehnten medienwirksam verkaufen und ihre Weltoffenheit damit dokumentieren wollen, reichen nicht, solange Menschen, die nicht dem sogenannten Bio-Deutschen entsprechen, in Sporthallen, auf Spielfeldern und drum herum angepöbelt und beleidigt werden. „Rassismus gedeiht da, wo er geleugnet wird“, so die Erfahrungen des Juristen und ehemaligen UN-Sonderbotschafters Doudou Dieue. Solange das sportliche Umfeld rassistische Vorfälle nicht ernst nimmt und einschreitet, solange es sich gar selbst rassistisch verhält, weil es Rassismus nicht als solchen erkennt oder erkennen will, und die Täter-Opfer-Rolle in beleidigten Diskussionen plötzlich umgedreht wird, läuft etwas völlig schief. Wie übrigens auch am Spielfeldrand, wenn Eltern ihre Kinder lautstark auffordern, „den Kanacken“ niederzutreten oder „der Tussi die krause Assi-Palme vom Kopf zu reißen“.
Nah dran
Nah am Mann oder der Frau auf dem Platz oder in der Halle: Sie alle wissen, wovon die Rede ist. Zumindest AthletInnen, die selbst betroffen sind. Oder AthletInnen, die das auf Veranstaltungen, im Trainingsbetrieb oder der Umkleidekabine miterleben und das nicht dulden wollen. Zu letzteren gehört Hockeyspielerin Nike Lorenz. Nach der Floyd-Geschichte hat sie sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und arbeitet jetzt auch in der Rassismus-AG von Athleten Deutschland mit. Auf ihrer Homepage und auf dem Instagram-Account der deutschen Hockey-Nationalmannschaft der Damen (Danas) hat sie sich in Beiträgen schon vorher klar von Rassismus distanziert und positioniert.
„Ich bin weiß und in einem elitären Sport“, sagt die engagierte gebürtige Berlinerin. „Mit den Danas erreichen wir viele Leute, bei denen ich davon ausgehe, dass sie Einfluss auf andere Menschen haben. Und wenn man diese Leute dazu bekommt, über Rassismus nachzudenken, ist das ein guter Anfang.“
Wirkung gezeigt
Hockey ist genauso wie Rudern eher eine Sportart, wo sich nicht viele People of Color tummeln. „Das entbindet uns aber nicht davon, uns dieser gesellschaftlichen Diskussion zu stellen und gegen Rassismus auch in den eigenen Reihen etwas zu unternehmen“, sagt Woldt, der durch Carlotta Nwajiade, erfolgreiche Ruderin im DRV, mit dem Rassismus-Problem konfrontiert wurde. „Und es war damals kein schönes Gespräch“, erinnert sich Woldt, der damit wohl „unangenehm“ umschreibt. Es zeigte aber Wirkung. Denn, was ihm die Hannoveranerin da berichtete, war für ihn eher weit weg und dann doch so nah im Rudersport. „Wir müssen uns dem Problem stellen und alles tun, was wir im Sport tun können“ sagt er.
Die rudernde Geografiestudentin Nwajide sagte in einem früheren Gespräch: „Von klein auf war mir klar, was es heißt, schwarz zu sein.“ Sie kam eher zufällig über eine Schul-AG zum Rudern und erlebte nach Rassismus im Alltag und auch Rassismus im Sport. „Das Nicht-Sehen-Wollen des strukturellen Rassismus im Sport ist oft schmerzhaft“, sagt sie. Weitspringerin Mayse Luzolo und Bobfahrerin Deborah Levi haben ähnliche Erfahrungen.
Nicht immer laut
Nicht zuhören, nicht verstehen wollen. „Rassismus ist nicht immer laut“, sagt die Frankfurterin Luzolo. Und viele verstehen offensichtlich gar nicht, dass Bemerkungen zu Aussehen, die Frage nach der Herkunft oder das Verbinden einer außergewöhnlichen Leistung mit den körperlichen Besonderheiten und der Hautfarbe rassistische und verletzende Bemerkungen sind. „Mehr Verständnis und Reflexion – auch von anderen SportlerInnen“ wünscht sich Maryse Luzolo, die übrigens nur dank einer Betreuerin in einem Hort für den Sport nicht verloren ging: Ihr fiel das Bewegungstalent der quirligen Maryse auf, und sie schickte sie in einen Sportverein.
Ein bißchen vergessen
Chancen bieten, genau hinschauen und Sensibilität in jeder Hinsicht zeigen – da wäre man schon etwas weiter. „Im Fußball wird Rassismus häufiger thematisiert. Die anderen Sportarten werden immer ein bisschen vergessen, wir sollten mehr darüber sprechen“, fordert Deborah Levi. Ob man im Fußball trotz vieler Anti-Rassismus-Bemühungen wirklich weitergekommen ist als andere im Sport, das sei dahingestellt.
Aber, so ist ja allerorten von vielen FunktionsträgerInnen des Sports zu hören – man wolle sich des Themas annehmen. Wie ernst das nun gemeint ist… mal sehen.
Jedenfalls, dass ihnen Rassismus ein ernstes Anliegen ist, unterstrichen die drei VerbandsvertreterInnen, neben dem Ruder-Sportdirektor Woldt sein Kollege Christoph Menke-Salz vom Deutschen Hockeybund (DHB) und Annett Stein,Chef-Bundestrainerin des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV), indem sie sich trotz der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio Zeit für den Austausch nahmen. Ist zu hoffen, dass auch andere Verbände sich dem Thema bald stellen.
Der DLV, der einige People of Color in seinen Reihen hat, ist schon tätig geworden. Annett Stein berichtet von ersten Anti-Diskriminierungs- Workshops für TrainerInnen und einer Ansprechpartnerin für betroffene AthletInnen. Und schließlich haben sie mit Generaldirektor Cheick-Idriss Gonschinska auch einen führenden und erfolgreichen Funktionär, der nicht nur als ehemaliger Spitzensportler und Diplomsportwissenschaftler aus eigener Erfahrung zum Thema Rassismus viel beitragen kann. Stein: „Anti-Rassismus muss gelebt werden, und alle TrainerInnen müssen mit dem Thema umgehen können.“
Offenes Umfeld
Doch nicht nur sie. Die TrainerInnen-Ausbildung, so sind sich alle drei einig, sei ein Baustein, gegen Rassismus vorzugehen, aber man muss auch ein offenes Umfeld schaffen. DHB-Sportdirektor Menke-Salz sagt, man müsse eine „Kultur schaffen, in der die betroffenen AthletInnen immer zahlreiche Leute hinter sich wissen“.
Weiß und elitär
Rassismus ist im Hockey wie auch im Rudern nun erstmal kein weit verbreitetes Problem. Aber wehret den Anfängen. Was Woldt und Menke-Salz umtreibt, ist, dass Rudern und Hockey traditionell eher als „weiße“ und elitäre Sportarten gelten. Menke-Salz wünscht sich deshalb über den Rassismus hinaus, „dass sich der Hockeysport von einer häufig als elitär wahrgenommenen Sportart zu einem „Sport für alle“ entwickelt“.
Auch Woldt will sich der „vielfältigen Rassismus-Frage“ stellen. „Unsere Aufgabe wird sein, nach Tokio ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten.“ Was dann etwa heißt: die Rassismusfrage in die Trainerausbildung und Curricula einzuarbeiten, in der Prävention zum Beispiel, auch im Kinder- und Jugendbereich Wege zu finden. Oder auch über Sanktionsmöglichkeiten, wie Annett Stein sagte, nachzudenken und sich innerhalb des Sports, aber auch mit externen Partnerorganisationen auszutauschen.
„Ich verachte Rassismus, weil ich ihn für barbarisch halte, egal ob er nun von einem schwarzen oder weißen Menschen kommt.“ Ein Zitat von Nelson Mandela, der in der Bildung und im Sport eine Möglichkeit sah, Vorurteile und Misstrauen abzubauen.
Über Schulen, die beispielsweise mit Vereinen kooperieren, mehr Kinder und Jugendliche an für sie bisher fremde, in ihren Augen elitäre und zu teuere Sportarten heranzuführen, ihnen Chancen für Teilhabe zu bieten und ihr Talent zu fördern – ist auch eine Maßnahme gegen Rassismus. Mario Woldt kann sich einiges vorstellen.
Keine neue Idee
„Vielleicht müsste es mal einen richtigen Knaller geben, damit alle sehen, was People of Color im Sport für eine Rolle spielen. Ein Streik auf der großen Bühne, ein Boykott“, schlug in einem Gespräch vor kurzem ein Bekannter vor, der selbst Rassismus-Erfahrung hat.
Keine neue Idee, mein Lieber: 1968 vor den Olympischen Spielen in Mexiko gab es in den USA eine heftige Diskussion – vor allem in der schwarzen Community, ob schwarze SportlerInnen nicht die Spiele boykottieren sollten, um endlich die Lage der schwarzen AmerikanerInnen auf die politische Weltbühne zu bringen. Denn: Stolz feierten die US-Amerikaner schwarze Medaillengewinner, aber im Alltag war das schnell vergessen. „Im Stadion bin ich der schnellste Mann der Welt, draußen nur ein dreckiger N……“, klagte Sprint-Weltrekordler Tommie Smith. Und der Weitsprung-Weltrekordler und Biochemiker Ralph Boston sagte damals über die Chancen schwarzer Sportler in besser bezahlten Berufen: „Ohne Goldmedaille habe ich gegen Weiße keine Chance.“
Wie alle wissen: Die schwarzen US-Athleten sprachen sich nach einer Abstimmung in San Jose für eine Teilnahme aus, überzeugten durch Leistung und sorgten für Aufruhr mit politischen Gesten: Die Faust im schwarzen Handschuh gegen den Himmel gereckt oder das schwarze Barett bei den Siegerehrungen sollten auf die soziale Lage der Farbigen in den USA aufmerksam machen. Was auch gelang – verärgert waren nur die SportfunktionärInnen, nicht das Publikum, das die Akteure mit viel Beifall unterstützte.
53 Jahre später. Hat sich viel geändert? Wäre es anders gekommen, wenn die schwarzen US-AthletInnen nicht teilgenommen hätten? Angesichts der jüngsten weltweiten Entwicklungen im Bereich Rassismus und Diskriminierung wie auch der Haltung des Internationalen Olympischen Komitees zum Thema Meinungsfreiheit von AthletInnen bei Olympischen Spielen wäre das ein lohnendes Forschungsprojekt für WissenschaftlerInnen. Und auch für die AG und die deutschen Sportverbände.
TeilnehmerInnen der virtuellen Diskussionsrunde waren: Carlotta Nwajide (Ruderin), Nike Lorenz (Hockeyspielerin), Maryse Luzolo (Weitspringerin), Debora Levi (Bobfahrerin), Christoph Menke-Salz (Sportdirektor Deutscher Hockeybund), Mario Woldt (Sportdirektor Deutscher Ruderverband), Annett Stein, (Chef-Bundestrainerin Deutscher Leichtathletikverband)
Moderation: Sandrine Kunis (Anti-Rassismus- und Diversity-Trainerin)