Abhängigkeiten sorgen für das Schweigen der Verbände

Kritik von Triathlon-Präsident Martin Engelhardt an der Leistungssportreform und  deren Machern in BMI und DOSB

Berlin, 7. August .- Trotz Sommerpause – die Telenovela „Leistungssportreform“ wird auch in den Ferien fortgesetzt. Den Sportalltag und den Reform-Umsetzungsversuch müssen alle in den Verbänden auf unterschiedliche Art stemmen. AthletInnen und TrainerInnen wie Verbandsverantwortliche wissen allerdings nach wie vor nicht, wie es weitergehen wird. Sportspitze hat nachgefragt. Im ersten Sommerinterview, bei Martin Engelhardt:

Martin Engelhardt war Schwimmer beim EOSC Offenbach als in den 1980er Jahren Triathlon sein Interesse weckte. 1985 gründete er im hessischen Großkrotzenburg den Triathlonverein Deutscher Ärzte und Apotheker. 1987 wurde er Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU). Das Amt hatte er bis 2001 inne, wo er auf eine erneute Kandidatur verzichtete. Nach zehn Jahren Pause kehrte er 2011 als Präsident zurück. Beruflich ist Engelhardt an der Universität Osnabrück tätig, wo der promovierte Orthopäde und Unfallchirurg eine Honorarprofessur für Sportmedizin innehat. Der 57-jährige ist nicht nur ein fachkompetenter und langjähriger kritischer Ehrenamtler im deutschen Sport, der ganzheitlich denkt und stets über den sportlichen Tellerrand schaut. Er war bei der Mitgliederversammlung des DOSB in Magdeburg einer der wenigen, der seine Bedenken zur Leistungssportreform öffentlich äußerte. Seine Kritik ist nicht leiser geworden.

Die Leistungssportreform ist für viele Ihrer KollegInnen – und nicht nur für die – zum Unwort geworden. Hätten Sie erwartet, dass das so chaotisch abläuft?

Engelhardt: Ja – wie viele andere Kollegen auch habe ich damit gerechnet. Der Direktor des FES in Berlin, Harald Schale, hat das anfangs treffend formuliert: „Hoffentlich beschädigen sie dabei nicht noch die wenigen funktionierenden Einheiten des deutschen Hochleistungssports“.

Als Sie das erste Mal von dem Reformvorhaben gehört haben, welche Erwartungen haben Sie damit verbunden?

Engelhardt: Natürlich gibt man als positiv denkender Mensch nie die Hoffnung auf, dass sich verbesserungswürdige Umstände ändern lassen. Wenn jedoch das Vertrauen der obersten Vertreter bzw. Verhandlungsführer zueinander nicht vorhanden ist, wenn es neben der formulierten und angestrebten Reform auch nicht unerheblich um „Macht“ geht, und die einzelnen handelnden Personen sich hinsichtlich ihrer Möglichkeiten überschätzen, den Erfolg im Hochleistungssport beeinflussen zu können, dann kann man als Realist keine allzu positiven Erwartungen haben.Viele inhaltliche Punkte der Reform sind auf dem Papier gut und richtig. An guten Papieren hat es aber selten im bundesdeutschen Hochleistungssport gemangelt.

Woran mangelt es denn dann?

Engelhardt: In erster Linie hatten und haben wir in Deutschland ein Umsetzungsproblem. Meine Hauptkritik besteht darin, dass eine isolierte Leistungssportreform mit der Zielstellung, mehr internationale Medaillen ohne Doping und möglichst nicht mit zusätzlichen finanziellen Investitionen zu erringen, ohne einen umfassenden und langfristigen nationalen Sportplan abgestimmt mit Bund, Ländern, Sportverbänden und Vereinen wenig Aussicht auf Erfolg haben wird. Wenn wir realistisch auf die zurückliegenden Erfolge der deutschen Athleten schauen, dann sind dafür in erster Linie kompetente und engagierte Trainer und gute Strukturen einiger Fachverbände mit fachlich kompetentem Personal verantwortlich. In Sportarten wie Fußball oder Reiten haben  weder der Staat noch der DOSB großen Anteil an den Erfolgen. In „ärmeren“ Sportarten sind die Unterstützungen durch die Wissenschaftsinstitute IAT und FES und weiterer wissenschaftlicher Einrichtungen sowie die Serviceeinrichtung der Olympiastützpunkte und die wirtschaftliche Absicherung durch Bundeswehr und Polizei essentiell.

Will man wirklich ernsthaft langfristig Deutschland im Sport erfolgreicher machen, dann bedarf es ähnlich wie in Großbritannien eines langfristig angelegten Sportplanes. Man darf dabei nicht nur vordergründig und isoliert auf leistungssportliche Erfolge schauen. Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports wie etwa eine positive Wertevermittlung und Sozialisation, Gesundheitsförderung und -erhalt, Hilfe bei der Integration ausländischer Mitbürger und der Überwindung sozialer Schranken oder der völkerverbindende Aspekt werden derzeit von den maßgeblichen Entscheidungsträgern in Deutschland unterschätzt. Daraus ergibt sich die Legitimation für die finanziellen Mittel, die für die Umsetzung eines umfassenden Sportplanes benötigt werden.

Wie muss man sich das so vorstellen, wenn ein Verband neben dem Alltagsgeschäft auch die Reform mit umsetzen soll? Es gibt ja viele Dinge, die noch nicht geklärt sind, aber voneinander abhängen. Wie kann man da vernünftig arbeiten?

Engelhardt: Die Deutsche Triathlon Union hat wie andere erfolgreiche Spitzensportverbände auch neben dem Alltagsgeschäft längst intensiv damit begonnen, die aus unserer Sicht sinnvollen Maßnahmen der Reform in Angriff zu nehmen. Wir können nicht warten, bis vielleicht irgendwann einmal auf oberster Ebene etwas funktioniert. Wir stehen ständig im internationalen Wettbewerb. Wenn wir dort nicht erfolgreich arbeiten, werden wir allein dadurch abgestraft, dass unsere Athletinnen und Athleten leistungssportlich nicht mehr mithalten können. Und das hat für uns Verbände dann Auswirkungen, die gravierend sind. Wir erwarten, dass die Verantwortlichen von BMI und DOSB diese bereits von uns geleistete Arbeit anerkennen und wertschätzen und uns nicht z.B. durch Streichung wichtiger Bundesstützpunkte für den Nachwuchs langfristig die Sicherung der Nachwuchstalente in der Fläche nehmen. Für andere Verbände ist die Sicherung der Trainer von enormer Bedeutung. Hier ist bereits viel Schaden durch eine nicht professionell vorbereitete und durchgeführte Reform entstanden. Viele Dinge der Reform sind bisher in der Konsequenz nicht zu Ende gedacht. Wir dürfen nicht durch blinde Konzentration funktionierende Nachwuchsstützpunkte und wichtige Trainer verlieren.

Wie viele andere leistungsorientierte Verbände nehmen wir unsere Geschicke selbst in die Hand und versuchen mit geeignetem Personal und Kooperationspartnern Erfolge zu erzielen. Die fachliche Kompetenz liegt in erster Linie bei den Spitzenverbänden. Dies zu verkennen ist ein großer Fehler!

Es ist viel Kritik geübt worden – meistens leider nur hinter vorgehaltener Hand -, als die Reform konzipiert wurde. Zwei Fragen treiben einen da um: Es saßen ja viele Verbandsvertreter in den Arbeitsgruppen am Tisch. Haben die nicht kommen sehen, was sich da zusammenbraut?

Engelhardt: Der Spiegel titelt am 1. Juli: „Traut euch! Radikal Denken, entschlossen Handeln – nur so ist die Welt noch zu retten!“. Im übertragenen Sinne könnten Sie dies auch zur Situation des Sports sagen. Aber wie sieht die Realität aus? Auch in der demokratischen Bundesrepublik steht die kritische Haltung bei den Entscheidungsträgern häufig nicht hoch im Kurs. Sie wandern zwar für ihre kritische Haltung nicht ins Gefängnis wie in der Türkei, aber nicht selten werden Sie subtil „bestraft“: Bei Entscheidungsprozessen und zu vergebenden Positionen werden sie nicht berücksichtigt, schlimmstenfalls werden Entscheidungen zu Lasten ihrer Sportart getroffen. Viele Präsidenten tragen Verantwortung für ihre Sportart. Die meisten sind abhängig von der finanziellen Unterstützung des Staates und dem Wohlwollen der Entscheidungsträger beim DOSB. Da verwundert es nicht, dass die Kollegen sich mit öffentlicher Kritik zurückhalten. Natürlich wissen die meisten Präsidenten, dass wir zur Durchsetzung der Interessen unseres Sports eine starke und glaubwürdige Führung benötigen. Auch wissen sie, dass die fachliche Kompetenz des Personals in ihren Verbänden häufig höher ist als in den Führungsinstitutionen. Diese haben aber die Macht über die Verteilung des Geldes. Die Verbände können nur frei und erfolgreich agieren, wenn sie die finanzielle Unabhängigkeit besitzen wie etwa im Fußball, Reiten und mit Einschränkung im Skiverband.

Selbstverständlich haben die Verbandsvertreter in den Arbeitsgruppen sinnvolle Vorschläge für die Weiterentwicklung des Hochleistungssports eingebracht. Leider sind diese Vorstellungen – wenn sie nicht den Vorstellungen der Entscheidungsträger entsprachen – nicht so berücksichtigt worden.

Und die andere Frage: Wäre es nicht an der Zeit, dass Verbände alles, was jetzt schiefläuft, also die gesamte Kritik, an die Adresse richten, die gemeint ist: nämlich an den DOSB Präsidenten und seinen Vorstandsvorsitzenden?

Engelhardt: Es nützt wenig, jetzt den Schwarzen Peter den Verantwortlichen des DOSB oder des BMI zuzuschieben oder gar die Verbände wegen mangelnder Kritik an den Zuständen anzuschwärzen. Viele Verbände machen schon unter Berücksichtigung unserer gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine gute Arbeit, und die sportlichen Erfolge der deutschen Athleten wie in Rio sind für die derzeitigen Umfeldbedingungen in Deutschland aus meiner Sicht großartig.

Wir müssen erkennen, dass wir nur durch gemeinsames Handeln und durch fachliche Kompetenz auf allen Ebenen Erfolge erzielen können. Dazu bedarf es aber auch eines abgestimmten langfristigen und umfangreichen Sportplans, wie uns das Großbritannien vorgemacht hat. Das dafür benötigte Geld wäre gesamtgesellschaftlich gut investiert, denn wir würden viele Milliardenbeträge für Reparaturkosten (die durch mangelnde Gesundheit und gesellschaftliche Fehlentwicklung entstehen) einsparen.

Mit mehr Geld können einige Probleme gelöst werden, aber nicht die entscheidenden. Etwa: Wie steht es um die Attraktivität von Sportarten? Wäre es also nicht wichtiger, dass nicht nur der Dachverband, sondern auch jeder einzelne Verband ein Zukunftskonzept erarbeitet, will er nicht Opfer der selbst inszenierten, überzogenen finanziellen und offensichtlich überschätzten politischen und gesellschaftlichen Rolle werden?

Engelhardt: Etliche Verbände haben sich längst mit Hilfe der Führungsakademie des DOSB ein Zukunftskonzept als Handlungsanleitung für die tägliche Arbeit erstellt und treffen sich in mehrjähriger Folge zu Klausurtagungen, um immer wieder Impulse für eine Weiterentwicklung zu geben. Ein solches Zukunftskonzept haben im Übrigen auch die Wissenschaftsinstitute des deutschen Sports (IAT Leipzig und FES Berlin) seit Jahrzehnten erarbeitet und nutzen dies als permanente Handlungsanleitung. Wichtig ist, dass das teilweise hohe fachliche Potential in Deutschland sinnvoll genutzt und nicht durch fragwürdige Entscheidungen geschwächt oder zerstört wird.