Der Talentfinder heißt oft Zufall

Über Nachwuchsathleten, Förderung, Eliteschulen und die Leistungssportreform

Berlin, 2. Mai. Rund 11 500 Schüler und Schülerinnen besuchen derzeit eine der bundesweit 43 Eliteschulen des Sports. Dort sollen Olympiasieger von morgen gefördert werden. Trotzdem steht es um die Nachwuchsförderung des deutschen Spitzensports nicht zum Besten, wie auch im Leistungssport-Konzept nachzulesen ist. Es gibt kein lückenloses Konzept, das den Weg eines talentierten Schulkindes bis zum Olympiasieg begleitet. Oder es auffängt, wenn es mit der Sportkarriere nicht klappen sollte. Vieles hängt noch immer von Zufällen ab.

Leni verkörpert das, was man landläufig als Bewegungstalent bezeichnet. Nicht nur ihr Vereinstrainer, der sie seit frühester Kindheit kennt, wo sie schon auf Skiern unterwegs war, bescheinigte ihr Potential für eine Sportlaufbahn. Doch ob es in der Loipe als Langläuferin für „mehr“ auf nationaler oder gar internationaler Ebene, gar olympische Lorbeeren gereicht hätte, wird die Schülerin nie erfahren: Sie ist aus dem Leistungssport-System ausgestiegen, bevor sie überhaupt richtig drin gewesen ist.

Gründe dafür gibt es einige. Ihr Tagesablauf wurde dem Mädchen aus dem Fichtelgebirge zu anstrengend, streckenweise zu chaotisch und zu unbefriedigend. Morgens um 6 Uhr aufstehen, mit dem Bus knapp 25 Kilometer zum Gymnasium, am späten Nachmittag wieder zurück, Hausaufgaben, Training am Abend und an den Wochenenden. Oder Wettkämpfe. „Ich stand plötzlich unter einem ungeheueren Zeitdruck, machte alles immer mit dem Gefühl, mich nicht voll reinzuhängen und nichts richtig zu machen.“ Nicht nur das Trainingspensum steigerte sich, auch das Büffeln für die Schule wurde mehr und mehr. Über einen Schulwechsel wurde zu Hause diskutiert. Der Besuch eines Sportgymnasiums war aber schnell vom Tisch. „Mit 13 von zu Hause weg wollte ich nicht, ohne zu wissen, was mich genau erwartet, und ob ich es überhaupt schaffe. Das machte mir Angst“, erinnert sich die heute 16-jährige. „Auf meine Familie, Freunde und mein Vereinsumfeld wollte ich auch nicht verzichten. Und außerdem war und bin ich nicht so die Ehrgeizige, die dann alles auf Erfolg fixiert. Dafür habe ich zu viele andere Interessen.“

Keine Glucken

Auch die Eltern hatten Bedenken, nicht nur wegen der räumlichen Distanz, die man dann in Kauf hätte nehmen müssen. „Wir sind nun nicht gerade Glucken-Eltern, aber uns war wichtig, dass die Schule vor dem Sport kommt. Es liest sich in dem Infomaterial über Eliteschulen gut, dass auch die Noten stimmen müssen und darauf geachtet wird, aber ist es denn tatsächlich so?“ Lenis Mutter Marianne hat(te) da so ihre Zweifel. „Uns fehlte auch die Absicherung, wenn irgendwas schief laufen sollte, damit Leni nicht am Ende auf der Strecke bleibt.“ Und so endete eine eventuell vielversprechende Karriere – ohne Bedauern. „Ich habe die Entscheidung nicht eine Sekunde bereut“, sagt Leni heute.

Von „Aussteiger-Geschichten“ kann Reinfried Kugel auch erzählen. Er ist im Landessportbund Berlin für Nachwuchssport zuständig. Und ebenso Sven Baumgarten, beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zuständig für die Duale Karriere. Geschichten von Mädchen und Jungen, die schon im System sind. Wenn sich plötzlich herausstellt, dass das Talent und Potenzial nun doch nicht so groß sind wie – oft besonders auch von Eltern – erwartet. Wenn plötzlich die Pubertät aus einem bisher pflegeleichten, leistungsbereiten Nachwuchstalent einen sich verweigernden und auflehnenden Trotzkopf macht, der auf sein bisheriges Sport-Leben keinen Bock mehr hat. Wenn plötzlich gute SchülerInnen mit der Doppelbelastung Sport/Schule nicht mehr klar kommen. Oder, wenn der Körper nicht so will, wie er sollte oder einen eine Verletzung ausbremst. Dann ist guter Rat gefragt und dringend nötig.

Riskantes Abenteuer

Seit 25 Jahren gibt es die Eliteschulen. Sich als Heranwachsende für den Leistungssport zu entscheiden, ist heute mehr denn je ein riskantes Abenteuer. Niemand kann einem die Garantie geben, ob man jemals das Zielband mit den Besten der Besten durchlaufen wird, wo man – abhängig von Sportart und Persönlichkeit – vielleicht finanziell ausgesorgt haben könnte in der wirtschaftlich und medial geprägten Sportwelt von heute. Schafft man es nicht, erhebt sich die Frage, ob ein berufliches und soziales Netz vorhanden ist, das den Berufssportler auf Zeit dann auffangen kann. „Ob ein Kind überhaupt ins System des Sports kommt, hängt leider immer noch von vielen Zufälligkeiten ab“, sagt Kugel. Und von vielen Unwägbarkeiten. Wichtig ist auch, dass „für die Karriere nach der Karriere“ noch besser gesorgt wird.

Zufall ist es auch, wie man zum Sport kommt. Ein „bewegungsfreundliches“ Elternhaus zum Beispiel ist eine gute Voraussetzung. Denn: Wenn alle Wege mit dem Auto gemacht werden, dann wird man keine Lauf– oder Bewegungsfreude bei seinem Nachwuchs entwickeln. Die Vorbildfunktion der Eltern ist ein entscheidender Faktor.

Bewegungsdrang

Wenn in Kindergarten und Schule der natürliche Bewegungsdrang von Mädchen und Jungen nicht gefördert wird, weil es kein entsprechendes Angebot in der Kita gibt, der Sportunterricht ständig ausfällt und Kinder zu permanenten Stillsitzen verdonnert werden, dann erzieht man sich Bewegungsmuffel, denen nie beigebracht wurde, dass körperliche Fitness genauso wichtig ist wie geistige.

Berlin hat Talent

In Berlin versucht der Landessportbund zusammen mit Schulen, Senat und Krankenkassen mit dem bundesweit einzigartigen Projekt „Berlin hat Talent“ dieser gesellschaftlichen Geringschätzung kindlicher Bewegung entgegenzuwirken. Sport gehört zwar immer noch zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen von Kindern und Jugendlichen, aber Krankheiten wie Adipositas oder Diabetes Typ 2 sind Alarmzeichen, dass da irgendwas schief läuft. Die Berliner versuchen also nun mit dem Projekt, den Nachwuchs im Allgemeinen und Talente im Besonderen auf Trab zu bringen. In fünf Bezirken werden GrundschülerInnen der dritten Klassen auf ihre motorischen Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination getestet: Kinder, die Förderbedarf haben, sollen mit Spaß und Freude an Bewegung und Sport herangeführt werden. Kinder, die bei dieser Untersuchung als bewegungstalentiert auffallen, können mehrere Monate an einem sportartenübergreifenden und vereinsgebundenen Programm teilnehmen, werden betreut und gefördert. Bleiben sie dabei, entwickeln sie sich gut, dann besteht die Möglichkeit, nach drei Jahren in einer Eliteschule aufgenommen zu werden, wenn alle Kriterien erfüllt werden – was u. a. auch gute Noten voraussetzt.

Von Interesse ist das Berliner Projekt gerade auch vor dem Hintergrund der Leistungssportreform, an der nach wie vor gebastelt wird. Denn der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Bundesinnenministerium, die das Reformpapier erarbeiteten, sprechen zwar von Nachwuchsförderung, bleiben aber mehr als vage bei den Vorstellungen, wie das genau umgesetzt werden soll.

Kein Konzept

Zwangsläufig stellt sich da wieder einmal die Frage nach dem Schulsport in Deutschland, der unter der Hoheit der 16 Bundesländer steht – und seit Jahrzehnten sehr zu wünschen übrig lässt. Ebenso wie die Ausbildung von Sportlehrern und die Qualifikation derer, die oft an Schulen Sport unterrichten. Die Relevanz von Sport an Schulen oder Kitas ist immer noch von der Aufgeschlossenheit der jeweiligen Leitung und einzelnen engagierten Pädagogen abhängig, nicht von einem überzeugenden Konzept. Und vom Interesse der Eltern: Denen ist es immer noch lieber, wenn Sport ausfällt als Mathematik.

Also müsste erst einmal ein Verständnis dafür geschaffen werden, dass eine Gesellschaft, die Bewegung gerne vermeidet und ausbremst, schon aus gesundheitlichem Eigeninteresse insgesamt in Schwung bleibt. Wenn Eltern, Lehrer, Trainer den richtigen Blick für Bewegungsauffälligkeiten – ob gute oder mangelhafte – haben, dann können Talente und auch diejenigen, die Bewegungsmängel und körperliche Probleme haben, entdeckt und gefördert werden.

Viele Vereine bieten heute eine bunte Angebotspalette für Kinder und Jugendliche, aber immer weniger Sportvereine sind an Nachwuchsleistungssport interessiert. Liegt das vielleicht an mangelnder Nachfrage? Sind Kinder und Jugendliche an bestimmten Sportarten nicht mehr interessiert? Wollen sich Jugendliche nicht mehr quälen? Der Vorsitzende der Deutschen Sportjugend, Jan Holze, sieht das nicht so. „Ich würde es vielmehr an den Rahmenbedingungen festmachen. Es muss ein festes Netzwerk geben aus Sportverein, Schule, Internat, Trainer. Und es muss eine gesicherte Zukunft da sein. Stichwort: duale Karriere. Wenn ich den Leistungssport verletzt aufgeben muss, brauche ich trotzdem festen Boden unter den Füßen“, sagte er vor einigen Wochen in einem Interview.

Auch Baumgarten sagt, dass verbindliche Rahmenbedingungen in angepassten Strukturen wichtig sind. Denn: seit G8 und bis 34 Unterrichtstunden pro Woche funktioniert es nur unter großen Mühen, 20 bis 30 Trainingsstunden unterzubringen.

Ineffektiv

Bei der Einschätzung bezüglich Netzwerk und Absicherung wird Holze nicht auf Widerspruch stoßen. „Aber“, sagt Kugel, „das derzeitige Sichtungssystem in Berlin ist nicht effektiv und wird von der Mehrzahl aller Sportarten als ungenügend eingeschätzt. Nur jedes siebte Kind wird überhaupt gesehen. Hinzu kommt, dass in Berlin zu viele Sportarten – zurzeit 23 Schwerpunktsportarten – entwickelt und gefördert werden und damit auch in direkter Konkurrenz stehen. Die Grundlage der Arbeit im Nachwuchsleistungssport sollen die Sportvereine leisten, die aber diesen Herausforderungen größtenteils nicht gewachsen sind. Es gilt vor allem, mehr Sportvereine zu motivieren, sich für den Nachwuchs engagieren. Die Verantwortung liegt hier bei den Verantwortlichen in den Verbänden, insbesondere auch bei den Spitzenverbänden, die hier ihre Richtlinienkompetenz mehr wahrnehmen müssen.“

Beliebig

Zufall und Beliebigkeit – zwei Wörter, die den Nachwuchssport in Deutschland nach wie vor treffend beschreiben. Haben sich Talente doch durch die Zufälligkeiten gekämpft und sind nun an einem Punkt, wo sie ernsthaft Leistungssport treiben wollen, dann kommen neue Probleme auf sie zu.

Wo kann ich meine Sportart denn nun trainieren? „Die Standortfrage, wo welche Disziplin angeboten wird, ist oftmals auch ein Grund, ob ein Jugendlicher dabei bleibt oder nicht. Denn nicht jeder Junge oder jedes Mädchen möchte aus seinem Heimatort weg, sich von Familie und Freuden und von seinem Trainer trennen. Da entwickeln sich viele diffuse, aber auch konkrete Ängste“, sagt Kugel aus Erfahrung.

„Was, wenn ich da nicht zurecht komme?“, ist eine Frage, die manchen im Vorfeld eines Wechsels schwer beschäftigt. Viele Eltern haben außer Trennungsängsten auch Befürchtungen, dass die Sport-Eliteschulen im Vergleich zu Gymnasien oder gebundenen Ganztagsschulen schlechter sind, man zu wenig auf schulische Leistungen achtet – und im Zweifel sich immer für den Sport entscheidet. „Das muss man mit Eltern und den Jugendlichen ganz genau besprechen, welche Erwartung sie haben“, so Kugel. Und ständig im Gespräch bleiben.

Eltern sind nicht nur an normalen Schulen, sondern besonders auch an Sport-Eliteschulen eine Klientel, mit der man pfleglich und vorsichtig umgehen muss. Mamis, aber auch Papis, die ihre eigene Karriere durch ihr Kind endlich (er-)leben wollen, sind auch hier zu finden. Sie überfordern nicht nur ihre Sprösslinge.

Helikopter-Eltern

Manche mischen sich zu viel ein. Die berüchtigten Helikopter-Eltern kreiseln mittlerweile auch über potentiellen Olympiasiegern und nerven dieselben und ihre Trainer nicht selten mit eigenen Vorstellungen, wie Dinge zu laufen haben. Es gibt sie, diese überfürsorglichen, die einen steten Widerspruch darstellen – hier absolute Leistung, aber bitte keine Überforderung. Wir wollen ja nur das Beste. „Zum Glück sind das die Ausnahmen“, seufzt eine Betreuerin in Erinnerung an das eine oder andere unerfreuliche Elterngespräch.

Natürlich sind Interesse, Aufmerksamkeit und Mitarbeit von Eltern nötig und erwünscht. Als vertrauensbildende Maßnahmen gehören dann auch Elternveranstaltungen dazu, die sich mit Themen wie Doping oder sexuellen Übergriffen beschäftigen. „Wenn man nahezu täglich über Dopingvorfälle im kleinen oder großen Sport liest, dann ist es doch logisch, dass Eltern besorgt sind, wenn das in der Sportart passiert, die das eigene Kind betreibt“, sagt Kugel. Und wenn Kinder im Internat sind, und man liest von einem Übergriff in einer Sportschule, da werden sie verständlicherweise unruhig. Vertrauen in vielerlei Hinsicht wäre zunächst eine Grundvoraussetzung, die sich der DOSB mit einem dezidierten Nachwuchskonzept in Zusammenwirken mit Spitzenverbänden auch erarbeiten müsste.

Abbruchquote

Die Leistungssportreform hat zur Folge, dass Olympia- und Bundesstützpunkte geschlossen bzw. verlagert werden sollen. Nicht zuletzt deshalb denken viele (Nachwuchs-) Athleten darüber nach, ob sie überhaupt weitermachen sollen. Kugel meint, man könne heute noch nicht absehen, was diese Entscheidungen im Bezug auf Talente für Auswirkungen haben wird. „Was wir jedoch sagen können ist, dass der derzeitige Bedarf an Internatsplätzen nicht ausreicht. Schon jetzt können einige Talente nicht nach Berlin kommen, weil es keine oder nicht ausreichend Internatsplätze gibt. Sportarten wie Wasserball, Rhythmische Sportgymnastik, Volleyball, Handball und Eishockey sind akut betroffen“, sagt Kugel. Diese Situation wird weiter verschärft, wenn Berlin im Rahmen der Strukturreform in einigen Sportarten, wie z. B. Judo und Wasserspringen zu einem Schwerpunktzentrum/Bundesstützpunkt wird, wo eine Konzentration notwendig wird und damit Internatsplätze Voraussetzungen sind.

Die derzeit rund 130 Internatsplätze sind vergeben, ebenso die 50 Wohnheimplätze, wofür die Athleten im Monat je nach Unterbringung (Ein- oder Zweibettzimmer) und Verpflegung zwischen 200 und 400 Euro bezahlen müssen. Apropos Kosten. Es gibt Kritik, dass Elite-Schulen teuer und ineffizient sind. Aber darüber gibt es bisher keine konkreten Erhebungen. Nur soviel ist klar: Die Hauptlast tragen hier die Länder. Und was die Effizienz angeht, da könne man nicht allein olympische Erfolge als Maßstab nehmen, so die Fachleute.

„Ich bin für eine Reform des Leistungssports – es muss sich dringend etwas ändern. Aber wir müssen dies mit Bedacht tun, um nicht bereits bestehende Strukturprobleme weiter zu verschärfen“, betont Kugel.

Zentralisierung, um an Stützpunkten optimale Bedingungen für angehende Olympiasieger zu schaffen – so ist es in der Reform angedacht. Zentralisierte Medaillenschmieden à la Großbritannien, die derzeit allerdings ihren manipulierten Erfolgsmythos verlieren, waren schon mehrfach im deutschen Sport Teil einer Versuchsreihe – allerdings ohne die erwünschte Erfolgsquote.

Auch bei der neuerlichen Reform sehen nur wenige Experten – selbst auf längere Distanz – einen Medaillenregen herunterprasseln, wie es sich Minister Thomas de Maizière und DOSB-Führung wünschen.

Utopie

Vor Ort kommen die Verantwortlichen durch diese utopischen Vorgaben, aber auch durch die Reform-Umstrukturierungen, in die Bredouille. Glaubwürdig sein, überzeugen, dass alles für den sauberen Athleten getan wird, ist das eine. Sich um die bestmöglichen Voraussetzungen zu kümmern, um das zu gewährleisten, ist das andere. Das ist man nicht nur den Sportlern, sondern auch den Partnern aus der Politik schuldig – siehe etwa Internatsplätze. Oder überhaupt die Kapazität der Sportschulen, die ja von Land oder Kommune mitfinanziert werden. „Man kann ja nicht einfach sagen: Wir bauen jetzt an, finanziert das mal. Oder noch eine Klasse aufmachen und noch Lehrer einstellen. Klassenfrequenzen dürfen nicht zu groß sein, Training und Unterricht müssen aufeinander abgestimmt werden, um schulische und sportliche Entwicklung kontinuierlich zu gewährleisten. Darauf müssen sich alle Beteiligten verlassen können“, so Kugel.

Trotz aller Bemühungen der Verantwortlichen : Manchmal läuft es dann halt nicht so gut. Da wird beispielsweise festgestellt, dass ein Kind in der Sportart nicht vorankommt, aber in einer anderen wirklich eine Chance hat. Oder die schulischen Leistungen bleiben auf der Strecke, trotz Förderunterricht geht nichts mehr. Nicht selten wird dann der Sport für Schule und ein gutes Abitur aufgegeben. Oder Verletzungen bremsen potentielle Sportmeister von morgen aus.

Keine Lust

Und manchmal hat ein Talent einfach keine Lust mehr, im Schwimmbad Morgen für Morgen, Abend für Abend Kacheln zu zählen. Wieder und wieder die Runde um den Platz zu drehen, sich jedes Wochenende zu einer Regatta aufzumachen, während die Freunde um die Häuser ziehen oder man einfach ausschlafen könnte. „Wenn einem so was immer wieder im Kopf herumspukt, man den Ehrgeiz und die Energie nicht mehr hat, dann ist es so weit – man steigt aus. So jedenfalls war es bei mir. Ein halbes Jahr habe ich mich rumgequält, wurde aber auch nicht besser, weder in der Schule noch beim Rudern, weil ich den Biss nicht mehr hatte“, erinnert sich Malte an die Zeit, bevor er als 17-jähriger aus dem Ruderboot stieg. „Danach holte ich erst mal in drei Monaten alles nach, was ich glaubte, in den Jahren zuvor versäumt zu haben. Dann konzentrierte ich mich auf mein Abi. Und alles war gut.“ Er habe viel durch den Sport gelernt und möchte die Jahre auch nicht missen, bis auf die „deprimierende letzte Zeit“, wo er sich in einem „Hamsterrad“ wähnte.

Irgendwann packt jeden schon mal der „Drop out-Virus“, wenn etwa die Leistung stagniert oder es irgendwie nicht richtig läuft, berichtet ein ehemaliger Lehrer. Bei den meisten geht das auch schnell wieder vorbei. Wer durchhält, belohnt sich dann oft selber. In einem Ordner von Reinfried Kugel sind sie alle aufgelistet. 2016 finden sich unter anderen sechs Jugend-WeltmeisterInnen im Kanu, Segeln, Rudern und Wasserspringen gelb unterstrichen auf der Liste wieder. Die Entscheidung für den Leistungssport-Beruf auf Zeit hat sich bisher für sie vor allem schon gelohnt. Diejenigen, die nicht so erfolgreich sind, sehen sich, wie es der 16-jährige Ben beschreibt „als soziale und Kompetenz Gewinner. Ich erfahre viel über mich selbst, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalte. Und ich erfahre viel über die anderen, wie die ticken, ob sie Teamplayer oder eher Einzelkämpfer sind“, sagt der Judoka, der seine Sportschule auch deshalb nicht missen möchte, „weil ich gelernt habe, meine Zeit gut zu planen und nicht zu verplanen. Man steht schon manchmal unter Leistungsdruck, und wenn man dann nicht organisiert ist, wird das alles noch heftiger. Ich bin viel zielstrebiger, geordneter durch den Sport geworden und lebe dadurch viel entspannter.“ Fürs Leben und nicht allein für den Erfolg lernen auch an den Sport-Eliteschulen am Ende die meisten.

Dass nun die Talent- und Nachwuchsförderung mit der Leistungssportreform besondere Beachtung finden sollte, hat sich das „Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT)“ gedacht und zusammen mit dem DOSB zu einem Symposium vom 8. bis 10. Mai eingeladen. TrainerInnen, Verbände, Wissenschaftler und StudentInnen wollen diskutieren.

Aber die Frage bleibt: Wird sich im Rahmen der Leistungssportreform an der Nachwuchsförderung viel ändern?

Die Erfahrungen aus der Vergangenheit lassen wenig Optimismus zu: Es hängt – wie gesagt – im deutschen Sport auch bei der Talentfindung und -förderung immer noch viel zu viel von Zufällen und weniger von Planung ab.

Zahlen zu den Eliteschulen

43 Eliteschulen mit 11500 SchülerInnen

22 Schulen sind in westdeutschen, 18 in ostdeutschen Ländern, 3 in Berlin

662 Diplom- und A-Lizenztrainer arbeiten an den Schulen

300 000 Stunden Spezialtraining werden gegeben (Quelle: DOSB)