Sepp Blatter startet fast ohne Gegenwehr in seine fünfte Amtszeit als FIFA-Präsident
Berlin. 29.Mai. „Hütet euch vor alten (und auch kleinen, Red.) Männern, denn die haben nichts mehr zu verlieren.“ Das wusste schon der irische Schriftsteller George Bernhard Shaw. Und Sepp Blatter hat es bewiesen. In bekannter Manier hat er seine Gegner zur Strecke gebracht, die sich nur im Hinterzimmer mit großem Getöse zu putschen trauten – und öffentlich wieder gekniffen haben.
Außer der Gegenkandidat Ali Bin al-Hussein, dem man zumindest einen Tapferkeitspreis verleihen müsste, dass er sich der großen FIFA-Familie und dem Patriarchen kurz mal widersetzt hat. Gegen den alten Mann und seine FIFA hatte der Prinz aus dem Morgenland aber null Chance, auch wenn (oder weil!) er Transparenz und Teilhabe, Demokratie und offene Türen versprach. Er wirkte steif und bemüht, farblos und verhalten bei seiner Vorstellungsrede, auch wenn er durchaus interessante Dinge sagte, die sicher den einen oder anderen Delegierten verwirrten.
Diener und Demut
Sätze wie „Ich möchte als Ihr Diener die Werte des Fußballs verteidigen“ oder „Wir müssen Demut zeigen“ dürften im Auditorium doch viele erschreckt haben.Was ist das denn? Demut, Diener ? Bei der Kritik an den Ereignissen der letzten Tagen blieb auch der Herausforderer seltsam defensiv, nicht aufrüttelnd und ohne Biss. Das nennt man wohl Diplomatie.
Aber damit kann man einen Sepp Blatter nicht aus dem Sattel heben. Das wusste der Prinz auch nach dem ersten Wahlgang, der dem alten und neuen FIFA-Boss zwar mit133:73 Stimmen einen kleinen Stich versetzte, weil sieben Stimmen zur Zweidrittel-Mehrheit fehlten. Aber dann verzichtete der Jordanier weise – auf den zweiten Wahlgang, den Blatter bei der Stimmenkonstellation sowieso gewonnen hätte.
Weltweit haben alle den Paukenschlag mitbekommen, für den die US-Ermittlungsbehörden mit den Verhaftungen von ranghohen FIFA-Mitgliedern in der Schweiz gesorgt haben. Für das Gros der FIFA-Familie war das alles aber offensichtlich wenn nicht ein übler Scherz, so doch nur ein kleiner lauter Trommelwirbel, den man auch mal aushalten muss.
Sepp, der Viertel vor Zwölfte
Da sitzt man schon etwas ratlos und hört diesem Sepp dem Viertel vor Zwölften zu: Er hat die Uhren für sich wieder zurückgestellt, obwohl alle sagten, es sei schon fünf nach zwölf und Blatters FIFA-Zeit nun endlich abgelaufen. Pustekuchen! Er kennt seine Pappenheimer lange genug und weiß, wie er sie mit rührseligen Phrasen und Tremolo in der Stimme erreichen kann. Blumig und fast schon philosophisch präsentierte er sich als einer der ihren, der den Tanker FIFA durch die stürmische See weiter manövrieren wird. „Wir brauchen keine Revolution, sondern eine Evolution“, rief er ins Publikum, das ihm sogar Zwischenapplaus spendete.
Weiter wie gehabt. Geht das tatsächlich? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in diesem Herrenclub in Wirklichkeit keiner ernsthaft an einer Wende oder gar an Aufklärung interessiert ist. Wie sonst kann man sich erklären, dass während des Kongresses nicht ein Kritiker aufgestanden ist, um eine Diskussion anzuleiern? Die lauttönende, drohende UEFA erwies sich wieder als zahnloser Tiger und großer Schweiger – genau in dem Moment, als sie gefragt war. Oder ist das Resignation?
System stützen und davon profitieren
Was soll man also nun von diesen Funktionären und ihrer Taktik halten, wenn es denn eine ist? Sie kritisieren das System Blatter einerseits, andererseits sind sie Teil dieses Systems, vom dem sie profitieren und es deshalb stützen. Dieses System hat zur Folge, dass ein starker Präsident mit seiner Führungscrew Delegierte um sich sammelt, die ihm treu ergeben sind und kritiklos das Geschäftsgebaren mittragen. Dafür werden sie belohnt. Und manche eröffnen noch einen extra Selbstbedienungsladen.
In den modernen Unternehmen FIFA und auch IOC, aber auch in vielen nationalen Verbänden, hat man die Streitkultur sanft aber gezielt eingeschläfert. Es gibt keinen Diskussionsbedarf mehr, weil es nichts mehr zu diskutieren gibt. Gremien mit Gefolgsleuten erledigen das Business. Das einfache Mitglied darf abnicken. So suggeriert man Demokratie. Um allem einen seriösen Anstrich zu geben, werden dann Compliance und Verhaltens-Codes verabschiedet – für die Schubladen und für die Öffentlichkeit, weil man ihr vorgaukelt, man nehme es mit Ethik und Moral sehr ernst. Und man holt sich Berater von Menschenrechtsorganisationen oder Transparency International als zusätzliches Glaubwürdigkeits-Alibi. So stört man die (Geschäfts-)Kreise der Macher nicht.
Keine Strategie
Wäre es der UEFA mit Erneuerung, Reformen und Aufklärung ernst, dann hätte sie schon lange einen Gegen-Kandidaten zu Blatter aufbauen und ihn besser vorbereiten und unterstützten müssen. Fußball ist bekanntlich ein Mannschaftssport. Starke Verbände wie der DFB hätten ihre durchaus gewichtige Stimme für Änderungen schon früher und häufiger einsetzen müssen. Es reicht nicht, nur verbal zu reagieren, wenn mal wieder ein Skandal öffentlich durchzuhecheln ist. Was ist also die UEFA- Strategie? Michel Platini muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er weder politisches Gespür noch seine Truppe im Griff hat.
Blatter hat am Freitag mehrfach den Teamgeist beschworen, den Zusammenhalt der FIFA-Familie. Wie das gemeint war, kann man sich ungefähr vorstellen – er meinte wohl eher Korpsgeist und Schulterschluss.Und aussitzen. Das verheißt nichts Gutes.
Big brother is watching you
Was nun? Mit der vielbeschworenen Selbstreinigung des Sports, also in diesem Fall der FIFA, wird es nichts werden, da sind zu viele Eigeninteressen, Machtgelüste und Geldgier im Spiel. Sepp Blatter, hat heute ein weiteres Beispiel abgeliefert, dass er in einer eigenen Welt lebt und eine eigenartige Wahrnehmung von der wirklichen Welt hat. Ganz zu schweigen von seiner Definition von Schuld, Verantwortung und Aufklärung. Da kratzt ihn auch nicht die harsche Aufforderung des englischen Premiers David Cameron, endlich die Fliege zu machen oder die sanfte Mahnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Schmutz wegzuräumen. Aber der FIFA muss klar sein: Nicht allein Big Brother ist watching you! Polizei und Justiz in den USA, aber auch in anderen Ländern lassen sie nicht mehr vom Haken. Und weltweit hoffen nicht nur die Fans, dass das Fußball-Spiel und nicht die FIFA-Gambler weiter Schlagzeilen machen.