Im Sommer -Interview: Fünfkampf-Präsident Michael Scharf und seine Erfahrungen rund um die Leistungssportreform
Berlin, 13. August. Trotz Sommerpause – die Telenovela „Leistungssportreform“ wird auch in den Ferien fortgesetzt. Den Sportalltag und den Reform-Umsetzungsversuch müssen alle in den Verbänden auf unterschiedliche Art stemmen. AthletInnen und TrainerInnen wie Verbandsverantwortliche wissen allerdings nach wie vor nicht, wie es weitergehen wird. Sportspitze hat nachgefragt. Im zweiten Sommerinterview, bei Michael Scharf:
Michael Scharf ist seit über einem Jahr Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf. Der gebürtige Bonner, selbst einst aktiver Fünfkämpfer und 1986 WM-Neunter, ist seit 40 Jahren seiner Sportart verbunden. Nach seiner aktiven Zeit wurde er Mitglied im nordrhein-westfälischen Landesverband, war von 2002 bis 2004 Bundestrainer der Frauen seines Verbandes und zuletzt Wissenschaftskoordinator. Hauptberuflich ist der 55-Jährige Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland. Scharf kennt sich also im Sport auf allen Ebenen gut aus – ob ehrenamtlich oder hauptberuflich. Dass er vieles, was in letzter Zeit rund um die Leistungssportreform passiert ist, im „Sportspitze“-Interview kritisch sieht, verwundert deshalb nicht.
Die Leistungssportreform ist für viele Ihrer KollegInnen – und nicht nur für die – zum Unwort geworden. Hätten Sie erwartet, dass das Reformvorhaben so chaotisch abläuft?
Scharf: Am Anfang nicht, aber da ich ja selbst als Mitglied in der „AG 3 Infrastruktur“ beim Erarbeiten der Reform anfangs beteiligt war, und im übrigen mit drei anderen Personen aus der AG im laufenden Betrieb zurückgetreten bin, konnte ich mir „live“ einen Eindruck davon machen, dass Themen nicht inhaltlich getrieben, sondern machtpolitisch behandelt wurden.
Als Sie das erste Mal von dem Reformvorhaben gehört haben: Welche Erwartungen haben Sie damit verbunden?
Scharf: Die Hoffnung, eine neue, durchgängige Förderung von der Talentsichtung bis zur Spitzenleistung zu entwickeln. Vor allem auch die Hoffnung die Basis, also die Vereine in die Reform einzubeziehen.
Wie muss man sich das so vorstellen, wenn ein Verband neben dem Alltagsgeschäft auch die Reform mit umsetzen soll? Es gibt ja viele Dinge, die noch nicht geklärt sind, aber voneinander abhängen. Wie kann man da vernünftig arbeiten?
Scharf: Man kann nur dann vernünftig arbeiten, wenn man die Hoffnung auf eine Reform hintanstellt und sich auf Basis der alten Förderdaten um das Kerngeschäft kümmert. Alles was mit der Reform zusammenhängt, ist aktuell zu diffus, zu unkonkret und vor allem zu stark auf einzelne Faktoren wie z.B. Bundesstützpunkte, Sporthilfe, Kaderförderung ausgerichtet, ohne zu berücksichtigen, dass es Zusammenhänge mit anderen Faktoren und Bereichen gibt. So ist zum Beispiel die neue Sporthilfeförderung für viele Athleten und damit auch für deren Verbände aktuell eine extreme Belastung. Was komplett fehlt, ist ein Gesamtkonzept, wo ein Rad ins nächste greift.
Es wird immer viel über Geld geredet und gestritten. Klar ist: Wenn die Reform umgesetzt wird, wird es mehr Geld geben. Aber machen sich es da Funktionäre im DOSB, aber auch in den Verbänden, nicht zu einfach, eine finanzielle Wunschliste aufzustellen, ohne selbst interne Hausaufgaben gemacht zu haben?
Scharf: Da alle Verbände Strukturpläne erstellen mussten bzw. fortgeschrieben haben, ist das von der reinen Lehre her nicht der Fall, aber die Fach- und Sachkompetenzen, die Machtorientierungen, die Entscheidungswege, das Kommunikationsvermögen und andere Faktoren sind von Verband zu Verband unterschiedlich ausgeprägt. Einfach ist nur eines: die sportliche Messlatte ist durch den Weltmaßstab vorgegeben, das ist im Sport letztendlich entscheidend, wobei ich den Faktor „Doping“ an dieser Stelle bewusst außen vor lasse.
Es ist viel Kritik geübt worden – meistens nur hinter vorgehaltener Hand -, als die Reform konzipiert wurde. Und noch mehr, als sie dann vorlag. Zwei Fragen treiben einen da um: Erstens: Es saßen ja viele Verbandsvertreter in den Arbeitsgruppen am Tisch. Haben die nicht kommen sehen, was sich da zusammenbraut?
Scharf: Die Kommunikation zwischen den Verbandsvertretern und der Basis – sowohl innerhalb der Verbände selbst, wie auch zu allen anderen Verbänden – war suboptimal. Die Verbandsvertreter in den Gremien haben mehr oder weniger unabgestimmt erst einmal die Interessen aus dem Blickwinkel ihres jeweiligen Verbandes vertreten. Eine Vernetzung oder gar Diskussion habe ich nur sehr rudimentär erlebt. So waren alle Verbände PotAS gegenüber kritisch, aber es wurde uns deutlich angezeigt, dass PotAS vom BMI und von der Politik gesetzt sei, daher müsse man sich arrangieren.
Zweite Frage dazu: Wäre es nicht an der Zeit, dass Verbände ihre Kritik öffentlich an die richten, die gemeint sind: Nämlich in erster Linie an den DOSB-Präsidenten und seinen Vorstandsvorsitzenden? Sie werden für die missliche Lage aller Beteiligten und das Chaos verantwortlich gemacht.
Scharf: Dazu kann ich ausschließlich meine eigenen Motive erläutern. Ich bin, wie gesagt als Olympiastützpunkt-Vertreter in der AG 3 gewesen. Nach meinem Rücktritt haben wir – damals war ich noch im Sprecherrat der drei Olympiastützpunkte – zusammen mit meinen beiden Sprecher-Kollegen – einen Termin mit dem DOSB-Präsidenten gehabt. Wir haben ihm empfohlen, dass sich der Sport intern, also die Verbände, die Landessportbünde, die Olympiastützpunkte , das IAT (Institut für Angewandte Trainingswissenschaft), die Trainerakademie, und das FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten) gemeinsam an einen Tisch setzen, um sich zur Reform auszutauschen und gemeinsame Positionen abzustimmen. Was ist daraus geworden? Eine erste enttäuschende Zwei-Tage- Veranstaltung in Duisburg und eine zweite Veranstaltung in Frankfurt. Eine dritte fand nicht mehr statt. Was erarbeitet wurde, wurde im Prozess so verwässert, dass diese Tagungen mehr oder weniger ergebnislos waren. Wenn ich selbst Kritik äußere, dann muss ich bereit sein, es besser zu machen und mich konstruktiv einbringen. Das kann und will ich aktuell nicht. Ich bin jetzt gerade einmal etwas mehr als ein Jahr im Amt des Verbandspräsidenten, daher sehe ich mich nicht in der ersten Reihe derjenigen, die die Steuerung der Spitzenverbände übernehmen.
Aber irgendwer muss Verantwortung übernehmen?
Scharf: So wie ich es wahrnehme, haben wir eine Frontenbildung: Sport (mit dem DOSB und seinen Spitzenverbänden und teilweise den LSB) und Verwaltung (mit dem BMI und den Ländern). Dazu kommt die Politik, die durch eigene Präferenzen und Positionierungen die Frontenbildung eher verstärkt als reduziert hat. Von daher haben alle drei den Karren in den Dreck gefahren. Neben den von Ihnen genannten Protagonisten müssen daher mindestens noch der Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium sowie die Sportausschussvorsitzende im Bundestag genannt werden. Beim DOSB stammen die Wurzeln für die heutige Krise bereits aus der Präsidentenzeit von Thomas Bach. Ich erinnere mich an die damals schon aufkommenden Diskussionen um die Autonomie des Sports gegenüber der Idee des Staatssports. Das ist auch aktuell der Kern des Konflikts.
Alles in allem, glaube ich nicht, dass eine öffentliche Diskussion hilfreich ist, aber was mich nachdenklich macht, ist, dass das Thema nicht lösungsorientiert hinter verschlossenen Türen diskutiert und geklärt wird. Weil das aber so ist, geht das böse Spiel immer weiter. Bund und Länder fordern den Sport auf weitere Unterlagen zu liefern, da auf Basis der gelieferten Daten und Fakten keine Entscheidungsreife bestehe. Damit wird der Sport – ohne erkennbares Ergebnis – vorgeführt. Das war beim Haushalt so, und das ist jetzt auch bei den Bundesstützpunkten so.
Für Verbandsvertreter bleibt da letztendlich nur die Hoffnung auf deutlich und nachhaltig mehr finanzielle Ressourcen im Spitzensport ab dem Haushaltsjahr 2018. Das war die Grundlage für den Beschluss zur Reform in Magdeburg und wurde von Innenminister Thomas de Maizière im Juni in Berlin beim Parlamentarischen Abend nochmals deutlich artikuliert.
Nochmal nachgefragt: Würden Sie für einen Rücktritt des DOSB-Präsidenten samt Präsidium plädieren?
Scharf: Aus den oben genannten Gründen, nein. Es gibt dazu im deutschen Sport aktuell keine Diskussion und mir ist auch keine ernstzunehmende Alternative bekannt.
Wie wird aus Ihrer Sicht die Reform umgesetzt werden? Wird es ein kosmetisches oder inhaltliches Umgestalten?
Scharf: Ein bisschen von beidem.
Wäre es also nicht wichtiger, dass nicht nur der Dachverband, sondern auch jeder einzelne Verband ein Zukunftskonzept erarbeitet, wenn er nicht Opfer der selbst inszenierten, überzogenen finanziellen und offensichtlich überschätzten politischen und gesellschaftlichen Rolle werden will? Da wäre doch die Leistungssportreform ein guter Anlass gewesen, mal über den Sport in dieser Republik zu diskutieren? Wieder eine verpasste Chance des Sports? Oder kommt da noch was – auch von Seiten der Verbände?
Scharf: Ja, nach derzeitigem Stand ist die Reform eine verpasste Chance, weil sich der Sport die Bedingungen des BMI – alles wird ökonomisiert – hat aufzwingen lassen. Das war übrigens der Grund für meinen Rücktritt in der Arbeitsgruppe. Weil keine Diskussion in Deutschland stattgefunden hat, wohin sich der Sport insgesamt entwickelt und entwickeln soll. Gesundheitliche, sozialpolitische Aspekte, Bildung, Erziehung und Bewegung, Geselligkeit, ehrenamtliches Engagement, Sport im Alter, Schule und Sport, um einige Themen zu nennen, blieben außen vor.
Dritter Punkt: Weil der DOSB und die LSB die Reform nicht dazu genutzt haben, um mehr und intensiver zusammen zu arbeiten, um Schwerpunkte zu bilden und die o.a. Themen im Verbund anzugehen, weil jeder sich der nächste ist und es keine Bestrebungen gibt, das Thema gemeinsam zu gestalten. Und nicht zuletzt, weil die Verbände extrem getrieben sind von dem Spagat zwischen (alten) rein ehrenamtlichen Modellen und (neuen) Modellen in einer optimalen Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt.
Das hört sich ziemlich deprimierend an… was kommt da noch?
Scharf : Der DOSB hat – aus meiner Sicht zu diesem Zeitpunkt völlig unnötigerweise – versucht, zeitgleich mit der Leistungssportreform sich und seine Strukturen mit der „Aufgaben- und Effizienzanalyse“ durch die Unternehmensberater von Ernst & Young selbst zu untersuchen und zu bearbeiten. Wenn als Ergebnis dann herauskommt, dass ohne Ausschreibung eine leitende Mitarbeiterin (die an der Untersuchung beteiligt war, Anm. d. Red.) der Führungsakademie den Vorstandsvorsitz beim DOSB übernimmt, was sagt das dann über diesen Prozess aus, der ja in Wahrheit, Klarheit und Transparenz geführt werden soll aus?
Was also erwarten Sie?
Scharf: Meine Prognose zu dem, was von den Verbänden kommt oder auch nicht, lautet:. Gibt es 2018 mehr Geld, wird die Mitgliederversammlung des DOSB (mit Wahlen Anm. d. Red.) in 2018 ruhig verlaufen. Kommt das Geld nicht, wird es Bewegung und Grundsatzdiskussionen geben.