Rückgang in fast allen Bereichen/Weniger Ehrenamtliche investieren mehr Zeit – und das unentgeltlich
Berlin, 17. November.- Statt Dank erfahren heute viele freiwillig Engagierte häufig Beschimpfungen und Respektlosigkeit. Da sollte man meinen, keiner möchte sich weiter Pöbeleien und Bedrohungen aussetzen. Steht das deutsche Ehrenamt, das in der Form weltweit einmalig ist, also vor dem Aus? Klagen über fehlenden Nachwuchs in Sportvereinen, fehlende ÜbungsleiterInnen und TrainerInnen, Bilder von Feuerwehrleuten oder Sanitätern im Einsatz, die übel angegangen werden, verstärken diesen Eindruck.
Die Realität ist aber eine andere: Mehr als ein Drittel der Bevölkerung engagiert sich weiter konstant ehrenamtlich. Zu diesem Ergebnis kam der Sechste Deutsche Freiwilligensurvey, der im Auftrag der Bundesregierung seit 1999 erstellt wird. Die Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, Christiane Schenderlein, stellte den Kurzbericht, dem Mitte 2026 der Hauptbericht folgt, vergangene Woche vor.
In Zeiten wie diesen, da mehr über das Zusammenbrechen der Gesellschaft als über das Miteinander diskutiert wird, sind die Ergebnisse und die Folgerungen, die man daraus ziehen kann, fast so etwas wie Balsam für die BürgerInnen-Seelen, die negative Schlagzeilen nahezu täglich weiter deprimieren. Der Bericht, für den mehr als 27 000 Menschen aus allen Bundesländern telefonisch befragt wurden, gibt ein umfassendes Bild über die Entwicklung der Zivilgesellschaft. Und da sieht es, wie gesagt, trotz aller Unkenrufe doch nicht so schlecht aus.
Leichter Rückgang
Im vergangenen Jahr waren 36,7 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre in einem Ehrenamt tätig – Frauen und Männer nahezu gleichermaßen. Trotzdem, so Ingo Leven, einer der Autoren des Berichts, bedeutet das einen Rückgang gegenüber den vorhergehenden Befragungen von 2014 und 2019: Da lag das Freiwilligen-Engagement bei rund 40 Prozent. In den Startjahren der Studie waren es 31 Prozent, wobei die Erhebungsmethoden noch andere waren – und Vergleiche deshalb schwierig sind.
Ein weiteres zentrales Ergebnis des Berichts: Wer sich engagiert, hat den zeitlichen Einsatz intensiviert. Mindestens drei Stunden pro Woche – das sind fünf Prozentpunkte mehr als vorher – sind 43 Prozent der Befragten im Einsatz. Ein Fünftel hängt sich sogar sechs oder mehr Stunden in die ehrenamtliche Arbeit.
Vermutlich liegt es auch daran, dass viele Ehrenamtler mehrfach tätig sind. Michael Ehlich, 65, steht für viele andere. „Ich bin im Gemeinderat, bei der Feuerwehr und im Sportverein. Hier auf dem Land machen wir die Erfahrung, dass immer die gleichen Menschen sich engagieren, weil andere keine Lust haben oder sich zurückgezogen haben, weil sie sich ständig Kritik anhören mussten.“
Oder eben aus anderen Gründen: Lebensumstände, Familien- und Arbeitssituation sind mittlerweile für viele die Gründe auszusteigen. Oder sich erst gar nicht zu engagieren.
Der Bericht spiegelt den Rückgang des Engagements in nahezu allen Bereichen wieder, besonders aber bei „Kultur und Musik“ sowie „Schule und Kindergarten“.
Zuwachs bei Rettungsdiensten
Dagegen überrascht, dass ausgerechnet da, wo die Freiwilligen am häufigsten Anfeindungen erleben, ein Zuwachs zu verzeichnen ist: bei Rettungsdienst, Freiwilliger Feuerwehr und Katastrophenschutz. Der Anteil Freiwilliger stieg von 2,7 auf 3,1 Prozent. Wie das? Eine wirkliche Erklärung haben die VerfasserInnen des Berichts nicht, vermuten aber Zusammenhänge u.a. mit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021.
Erstaunlich auch in dem Zusammenhang, dass im Bereich Ökologie, Klimaschutz, Umwelt und Naturschutz, der in letzter Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung (wenn nicht gerade Weltklimakonferenz ist) in den Hintergrund des Interesses geraten ist und der momentan auch wegen der wirtschaftlichen Lage Gegenwind spürt, das Engagement nahezu gleich geblieben ist – kein Trend-Thema für die Engagierten , sondern wirkliches Anliegen.
Christiane Schenderlein präsentiert durch das im Kanzleramt neu geschaffene Staatsministerium Sport und Ehrenamt Letzteres ja nun besonders herausgehoben, verweist aber darauf, dass in den jeweiligen Ministerien natürlich das Ehrenamt jeweils auch im speziellen Handlungsfeld gespiegelt wird. Für sie als Sportministerin war es besonders erfreulich, dass sich für Sport und Bewegung mit 12,8 Prozent die meisten Freiwilligen in der Republik engagieren. Doch auch beim Spitzenreiter ist seit 2019 ein Minus von 0,7 Prozentpunkten festzustellen. Seit 2019 sind es gar zwei Punkte.
Getrübte Freude beim DOSB
Freude auch beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Der meldete letzte Woche mal wieder einen Mitgliederrekord: 29,3 Millionen Mitgliedschaften verzeichnen die 86 000 Sportvereine.
Die Freude über den Zuwachs ist aber getrübt. Denn auch im Sport gibt es Probleme: Wie der aktuelle Sportentwicklungsbericht des DOSB, der im Dreijahres-Rhythmus erscheint, beschreibt, kommen immer mehr Vereine in Existenznöte. „Mehr als jeder sechste Verein ist in seiner Existenz bedroht, weil er es nicht mehr schafft, ausreichend ehrenamtlich Engagierte zu finden und zu halten“, heißt es in der Pressemitteilung des DOSB. Wartelisten und Aufnahmestopp sind weitere Folgen. Das sind aber Probleme, die sich schon lange abzeichneten – und teilweise ignoriert wurden. Nun fordert der DOSB „echten Bürokratieabbau und mehr Wertschätzung für Ehrenamtliche“.
Die Staatsministerin verweist auf den „Zukunftspakt Ehrenamt“, den die Bundesregierung im September beschlossen hat. Dieser sieht einen Steuerfreibetrag für die Vereinstätigkeit vor. So können ÜbungsleiterInnen bis 3300 Euro pro Jahr steuerfrei (vorher 3000 Euro) dazu verdienen, für alle anderen wurde die Pauschale von 840 auf 960 erhöht.
Ums Geld geht es kaum
Geht es Ehrenamtlichen an der Basis eigentlich ums Geld? Oft hat man den Eindruck, sie bringen noch welches mit. Und wenn sie ihr Engagement einschränken oder aufhören, hat das meistens andere Gründe: 62 Prozent fehlt einfach die Zeit, 32 Prozent sind gesundheitlich eingeschränkt, 31 Prozent wollen keine regelmäßigen Verpflichtungen mehr eingehen und jeweils 27 Prozent geben berufliche oder familiäre Gründe an. Petra, 62, schildert ihren Ausstieg so: „Ich arbeite in der Verwaltung acht Stunden, zweimal die Woche habe ich eine Seniorensportgruppe geleitet, einmal war ich als Lese-Patin im Einsatz. Seit zwei Jahren habe ich Enkel, um die ich mich kümmere, und meine Eltern müssen nun auch unterstützt werden. Da bleibt keine Zeit mehr fürs Ehrenamt – was ich sehr bedauere.“
Wo und wie kann man noch Freiwillige gewinnen, Menschen erreichen, die bislang mit der Tradition Ehrenamt wenig anfangen können? Etwa mit niederschwelligen Angeboten, über entsprechende Projekte und Programme könnten mehr Menschen auch mit niedrigerer Schulbildung gewonnen werden. Bisher engagieren sich 24,6 Prozent ehrenamtlich, Menschen mit hoher Schulbildung dagegen mit 45,5 Prozent, so der Bericht. Das höchste Engagement zeigen übrigens SchülerInnen mit 48,4 Prozent.
Auch Menschen mit Migrationshintergrund und eigener Zuwanderungserfahrung sind mit 28,4 Prozent für die Gemeinschaft im Einsatz. Bei ihnen ist die Engagements-Quote sogar seit 2019 gestiegen.
34 Prozent sind nicht abgeneigt
Und es gibt auch die Bereitschaft, so sagt die Studie, von bisher Nicht-Engagierten, sich für freiwilligen Einsatz gewinnen zu lassen: sieben Prozent könnten sich vorstellen, sich in den nächsten zwölf Monaten ganz sicher zu engagieren, 34 Prozent wären vielleicht offen dafür – besonders unter den 14-29-Jährigen wären zwei Drittel dabei, sich zu engagieren.
Wenn das keine positive Meldungen in Zeiten des ständigen Genöles sind! Allerdings: Das freiwillige Engagement will gepflegt werden. Da reichen nicht alleine Organisationen wie etwa die „ Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt“, die mit Serviceleistungen, Informationen und Organisationsentwicklungen Hilfestellung geben soll, sondern der Einsatz aller ist vonnöten. Um was es geht, formuliert Feuerwehrmann Michael so: „Ich will keinen Dank, kein Geld, sondern Respekt und Unterstützung, wenn ich im Einsatz bin und meine Arbeit tue. Helfen zu können, ist mein größter Lohn.“