Otto Schily erinnert sich an Details rund um die WM-Vergabe – Niersbach dagegen hat Lücken
Berlin,18.Oktober. Ein Dementi jagt das andere: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach interviewt sich quasi selber, und der DFB schickt dieses Selbstgespräch als Pressemitteilung an die Medien. „Ich kann versichern, dass es im Zusammenhang mit der Bewerbung und Vergabe der WM 2006 definitiv keine ´schwarzen Kassen` beim DFB, dem Bewerbungskomitee noch dem späteren Organisationskomitee gegeben hat. Die WM war nicht gekauft“, sagt er.
Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily erklärt in der „Bild am Sonntag“: „Ich habe keine Veranlassung, die Erklärung des DFB-Präsidiums in Zweifel zu ziehen. Als Mitglied des Organisationskomitees für die Fußball-WM habe ich zu keinem Zeitpunkt Informationen erhalten, die den Verdacht `schwarzer Kassen` begründen“, sagt der gelernte Rechtsanwalt. Fedor Radmann, OK-Vizepräsident und später Berater bei der WM, tut auf „Sky“ kund: „Das Bewerbungskomitee hat niemals irgendjemanden bestochen. Ich bin bereit, dies sogar zu beeiden.“ Nur einer schwieg noch, der sonst ein Dampfplauderer ist: Franz Beckenbauer. Doch nun raffte er sich doch am Sonntag dazu auf, das zu sagen, was auch andere sagen, er habe niemandem Geld zukommen lassen, um Stimmen zu kaufen.
Der Spiegel-Bericht über die ominöse schwarze Kasse (Siehe Beitrag „So zerlegt man ein Sommermärchen“) löste bei manchem Betroffenen Nervosität, Aktionismus, graue Gesichtszüge, Widersprüche, Schweißausbrüche – und Erinnerungslücken aus. Wolfgang Niersbach kann sich an Dinge nicht erinnern, die ihn in die Bredouille bringen könnten. Etwa eine handschriftliche Notiz auf einem Papier, wo es um „das vereinbarte Honorar an RLD“ (Kürzel für den damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus und „Geber“ der 6,7 Millionen Euro) gehen soll und das dem Spiegel vorliegt. Dagegen kann sich Schily genau an Details erinnern, etwa wer für die Buchhaltung zuständig war – und dass alles korrekt ablief: „Alle Zahlungen des DFB einschließlich der gesamten Buchhaltung wurden seinerzeit vom damaligen Schatzmeister des DFB, Dr. Theo Zwanziger, sorgfältig geprüft. Das gesamte Zahlenwerk müsste nach meiner Kenntnis auch nach Abschluss der Fußball-WM zu einem Zeitpunkt, in dem ich dem Organisationskomitee nicht mehr angehört habe, nochmals überprüft worden sein.“ Sapperlot, möchte man sagen, was für ein Gedächtnis!
Immer die anderen
Und schuld sind sowieso andere. Wenn es bei einer Zahlung des DFB an die Fifa Unklarheiten gebe, „gehört das zur Verantwortung der Fifa und liegt außerhalb der Verantwortung des Organisationskomitees. Da Dr. Theo Zwanziger als späteres Mitglied des Exekutivausschusses der Fifa sicherlich Zugang zu der Buchhaltung der Fifa hatte, kann er am ehesten Auskunft geben“, sagt der 83-jährige Jurist Schily. Und an diesem Punkt wird die Einlassung des ehemaligen Bundesinnenministers aus einem anderen Grund interessant.
Denn Zwanziger präsentiert sich im „Spiegel“ zum wiederholten Mal als der unbedingte Aufklärer und Reformer des Weltfußballs, obwohl er eigentlich nichts mehr öffentlich dazu sagen wollte. Dass ihn mit seinem Nachfolger Niersbach nicht gerade eine dicke Freundschaft verbindet, ist kein Geheimnis. Wie glaubwürdig ist nun seine Rolle als Kämpfer gegen Korruption und böse Machenschaften in der Fifa und dem Weltfußball, angesichts der Tatsache, dass auch er als Vize in dem OK saß, das nun unlautere Mittel eingesetzt haben soll? Als Schatzmeister müsste man ja über Geldflüsse Bescheid gewusst haben. Oder man hat seinen Job nicht richtig gemacht. Wenn er denn wollte, müsste er doch alles schnell aufklären können. Auch in seinem eigenen Interesse, denn als das Geld zurückgezahlt wurde, war er schon DFB-Präsident in der Doppelspitze mit Gerhard Mayer-Vorfelder.Warum also tut er es nicht?
Konnten nicht anders
Über den Zeitpunkt der Enthüllungen wundert sich nicht nur der ehemalige Medien-Chef der Fifa, Guido Tognoni. Der sei schon etwas verwunderlich. Über die Vorwürfe selbst ist er nicht überrascht. „Die Deutschen konnten gar nicht anders, wenn sie die Weltmeisterschaft haben wollten“, sagte der Schweizer am Samstag im aktuellen Sportstudio. Die Gepflogenheiten der Fifa, wie man zu etwas kommt, sind allgemein bekannt. Ebenso wie die Intrigen, die in diesen Kreisen offensichtlich auch zum guten Ton gehören. Oder das Entwickeln von Verschwörungstheorien als Entschuldigung oder …
Da kommt man dann zum Krisenmanagement des DFB und seines Präsidenten, der schon seit Beginn des Fifa-Skandals wegen seines Verhaltens in der Kritik steht. Niersbach befindet sich auf verbalem Schlängelkurs, zeigt nie klare Kante und haut nur auf den Putz, wenn’s keinem der vermeintlichen Freunde noch weh tun kann. Und jetzt setzt er diese One-man-show offensichtlich fort: Taktieren, abwiegeln, nix zugeben – das sind die Stilmittel der Krisenbewältigung, die er offensichtlich alleine stemmen wollte, denn das Präsidium soll erst am Freitag von einer internen Prüfung zur ominösen Überweisung an die Fifa erfahren haben – das bestätigen laut FAZ zwei Quellen. Und da war die neue „Spiegel“-Affäre schon im Gang.
Mutlus Brief
Der sportpolitische Sprecher der Grünen, Özcan Mutlu, hatte sich schriftlich im Sommer nach neuen alten Vorwürfen im Zusammenhang mit der WM-Vergabe an Deutschland mit der Bitte u.a. an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Franz Beckenbauer gewandt, doch eine „transparente Aufarbeitung der deutschen Bewerbung 2000 einzuleiten“. Es sollte „unser gemeinsames Interesse sein, zweifelsfrei deutlich zu machen, dass die WM 2006 ohne Korruption oder andere Vergünstigungen an Deutschland vergeben wurde.“
Nun kann man den Fragen nicht mehr ausweichen. Aussitzen und schweigen geht nicht mehr: Denn auf die Nibelungentreue aller damals Beteiligten können sich diejenigen, die gemeinsam im WM-Boot das Kommando hatten, nicht mehr verlassen – mindestens ein Leck scheint es ja in der DFB-Crew schon zu geben. Und anderswo, hinter den Heidi-Bergen, vielleicht auch. Jetzt hilft nur noch Offenlegung der Fakten, die Wahrheit – und eine Untersuchung der Angelegenheit durch unabhängige Aufklärer, um noch zu retten, was zu retten ist. Die Glaubwürdigkeit deutscher Fußballfunktionäre aber ist dahin. Und die Karriere des Wolfgang Niersbach, die gerade schon mal auf Schnupper-Kurs Richtung Uefa war, scheint im Abwärtssog zu sein.
Nun, wie immer bei widersprüchlichen Aussagen und unklarer Aktenlage, ist die Stunde der Juristen gekommen. Und deshalb halten wir es für heute mit Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und beenden die Geschichte mit dem Brecht-Zitat: „Und so sehen wir betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“