Diskussionen mit ihm waren immer ein Erlebnis

Philosoph, Olympiasieger und Sportsmann Hans Lenk gestorben

Berlin/Paris/Karlsruhe. 31.Juli.– Sport war seine Passion, mit der er sich in Theorie und Praxis gerne beschäftigte, wenn es seine beruflichen  Aufgaben als einer der bedeutendsten deutschen Vertreter der Gegenwartsphilosophie zuließen: Nun ist Hans Lenk im Alter von 89 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.

Ende letzten Jahres flatterte Post ins Haus: Ein Büchlein „Rudern schützt vor Lachen nicht“, Autor Hans Lenk, war in dem Kuvert zu finden. Mit Widmung und einem kleinen Briefchen „Viel Amusement bei der Lektüre. Ich hätte ja nicht gedacht, dass meine Thesen zum Spitzensport noch jemand so in Erinnerung hat.”

Es ging um einen Artikel auf sportspitze.de, der sich mit dem deutschen Spitzensport und den vergeblichen Reformversuchen beschäftigte. Darin wurden 20 Thesen Lenks beschrieben, die er vor über 20 Jahren bei einem Symposium des Deutschen Sportbundes (DSB) zum Thema „Zukunft des deutschen Spitzensports“ aufstellte. Thesen, die immer noch aktuell sind.

Eine Karriere durch Zufall

Dass er einmal Olympiasieger werden und eine akademische Karriere machen würde, war so nicht vorgezeichnet. „Da spielte auch der Zufall eine Rolle“, so Lenk. In Berlin geboren, wuchs er in Ratzeburg auf. Nach dem Tod des Vaters, der 1945 aufgrund von Kriegsfolgen im Lazarett starb, musste seine Mutter die drei Kinder alleine durchbringen. „Als Ältester wurde ich früh in die Verantwortung genommen.“ Er steuerte durch Zeitungsaustragen am frühen Morgen vor dem Unterricht zum Lebensunterhalt der Familie bei. „Dass ich an die Oberschule kam, war Zufall, weil ein Lehrer bei uns im Haus wohnte, der meinte, ich müsse auf die höhere Schule, was ich zunächst überhaupt nicht wollte.“

Und dann begann eine außergewöhnliche Erfolgsstory. Denn sein Lehrer am Gymnasium war Karl Adam, in Ratzeburg nicht nur als Pädagoge eine Autorität, sondern auch als Rudertrainer. Und Adam nahm den jungen Mann unter seine Fittiche – im Sport und bei seinem schulischen und späteren beruflichen Werdegang. „Er drückte mir Schopenhauer in die Hand. Wir haben uns mit Konrad Lorenz’ Verhaltensforschung beschäftigt, nach dem Abitur haben wir in einem philosophischen Seminar Weizsäckers Weltbild der Physik gelesen. Die anderen Lehrer verstanden das nicht, haben uns als „Adamiten“ bezeichnet.“

Und dann schaffte der Rudertrainer Adam es auch noch, dass 1958 Lenk im Vierer ohne Steuermann Europameister, 1959 den Titel im Achter wiederholte und 1960 in Rom Olympiasieger wurde.

Auszeichnungen und weltweite Anerkennung

Die akademische Karriere begann 1969. Lenk wurde ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Karlsruhe. Fünf ausländische Honorarprofessuren und acht Ehrendoktorate erhielt er. Er wurde Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Vizepräsident der Weltgesellschaft für Philosophie und Präsident der Weltakademie der Philosophen. Allein die Anzahl der Titel nötigt einem großen Respekt ab, aber noch mehr seine Texte. Lenk veröffentlichte ca. 150 Bücher, darunter etwa 30 zum Sport.

Mit Hans Lenk über den Spitzensport zu diskutieren, war immer ein Erlebnis. Am Anfang noch etwas eingeschüchtert von den Referenzen und der Persönlichkeit, ermunterte er sein Gegenüber immer zu einer regen Debatte, die oft das geplante Zeitfenster sprengte. Dass er den Sport liebte, war besonders daran zu erkennen, dass er ihn sachkundig und argumentativ kritisierte, ihm einen Spiegel über Fehlentwicklungen vorhielt. Aber auch die Kraft und Werte des Sports herausstellte. Viele FunktionärInnen im deutschen Sport kamen mit den intellektuellen Ansätzen des feingeistigen Mannes nicht zurecht. Die mit dem Florett vorgetragenen kritischen Äußerungen lösten bei ihnen keine Begeisterungsstürme aus und sie fremdelten mit dem Philosophen. Und er mit ihnen.

Wir wollen keinen Olympiasieger berufen

Auch in akademischen Reihen war seine Passion für Sport Grund für Ablehnung. Sein einschneidendstes Erlebnis widerfuhr ihm in seiner Geburtsstadt: Er war für einen Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin vorgeschlagen worden. Das Vorhaben hebelte der Ordinarius mit dem Satz „Wir wollen doch einen Philosophen und keinen Olympiasieger berufen“ aus.

Die Zeiten haben sich geändert, obwohl in vielen geisteswissenschaftlichen Fakultäten Studierende oder Lehrende mit (wissenschaftlichen) Sportambitionen manchmal immer noch spöttisch belächelt werden. Lenk hat immer gegen diese Vorurteile gekämpft.

Hans Lenk ist zu lang

Auch mit seinen Beiträgen für das „Olympische Feuer“, der damals angesehenen Zeitschrift der Deutschen Olympischen Gesellschaft. Der ehemalige Pressesprecher des DSB und OF-Chefredakteur Harald Pieper, der mit Lenk befreundet war, hatte allerdings immer mit der Länge der Beiträge zu kämpfen – und die anderen Autoren anzurufen. Das Gespräch hatte immer den gleichen Inhalt: „Hans Lenk ist zu lang, Du musst dich kürzer fassen.“ Was man natürlich gerne tat. Und Lenk hatte bis vor einiger Zeit noch die Idee, ein ähnliches Heft neu zu starten.

Was, so fragte heute am Telefon ein Freund von Lenk, würde er wohl über die Olympischen Spiele in Paris, den Medienrummel, die Diskussionen über Doping und den deutschen Spitzensport sagen? Oder über Erwartungshaltung und Druck, Scheitern und Nicht-Siegen? Er zitierte dann immer Karl Adam, „meinen geistigen Vater“, der sagte: „Nicht gewinnen ist kein Scheitern. Leistung muss nicht bloß physisch, psychisch oder egoistisch sein, sondern auch moralisch-ethische Leistungen sind darin inbegriffen.“ Damit „kann ich mich natürlich anfreunden,“ so Lenk

Der Philosoph Lenk zitierte in seinem eingangs erwähnten Büchlein aus Marcel Prousts Klassiker „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit “ unter dem Titel „Ruderers Ruhe“ einen Satz, der für den Abschied von Hans Lenk, dem großen Sportdenker und Philosophen, passend scheint: „Wie oft habe ich dann einen Ruderer gesehen – wie oft mir gewünscht, sobald ich einmal ganz nach meiner Neigung leben könnte, es ihm nachzutun – der mit eingelegtem Riemen und zurückgelegtem Kopf flach auf dem Rücken gelagert den Nachen treiben ließ, nichts sah als den Himmel, der langsam über ihm dahinzog, und auf seinem Antlitz einen Vorgeschmack des Glücks, des Friedens trug.“

Hans Lenk wird dem deutschen Sport als Mahner und Beobachter, aber auch als einer, der Lösungen anzubieten hatte, in Erinnerung bleiben. Einer wie er fehlt dem deutschen Spitzensport gerade jetzt.