Schlaflose Nächte für DoperInnen

Staatsanwaltschaft München: 21 AthletInnen aus acht Ländern im Visier / Weitere Festnahme

Berlin/München, 20. März. Zeit, um das Jubiläum der Schwerpunktstaatsanwaltschaft zu feiern, die fast auf den Tag genau vor zehn Jahren eingerichtet wurde, hat die Staatsanwaltschaft München nicht: Sie ist mit weiteren Ermittlungen und der Aufarbeitung des jüngsten Doping-Skandals beschäftigt, die mit einer Razzia bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld für einen öffentlichen Paukenschlag sorgte. Nun stellte der leitende Oberstaatsanwalt Kai Gräber weitere Ermittlungsergebnisse vor.

Wer damit gerechnet hatte, dass Gräber schon Namen potentieller Dopingsünder nennen würde, wurde erwartungsgemäß  enttäuscht. „Sie müssen verstehen, aus ermittlungstechnischen Gründen will ich dazu nicht mehr sagen.“ Ein Satz, der sich während der Pressekonferenz wiederholte.

Dennoch gibt Gräber, der von einer „grandiosen“ Beweislage spricht, einiges preis. So sind mittlerweile 21 AthletInnen (inklusive der bereits bekannten Personen) aus acht europäischen Ländern ins Visier der Ermittler und Staatsanwaltschaften in Deutschland und Österreich geraten. Diese SportlerInnen haben im Zeitraum von 2011 bis zu den Doping-Razzien Ende Februar in Seefeld und Erfurt wohl eine dreistellige Anzahl von Bluttransfusionen bekommen. „Das sind etwa 10 bis 15 pro Sportler“, sagt Gräber. Und: „Sie kommen aus fünf Sportarten, darunter drei Wintersportarten.“

Weltweit agiert

Bei den Sportarten und der Frage, ob auch deutsche AthletInnen unter diesen 21 sind, hält er sich bedeckt. Aber dann noch ein Detail: Die Bluttransfusionen sind weltweit durchgezogen worden. Unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Finnland, in Südkorea und auf Hawaii. Was sagt das dem Sportinteressierten? Dass während der Olympischen Spiele 2018 in Pyeongchang und auf Hawaii – nicht beim Ironman, sondern beim Marathon wie die Staatsanwaltschaft München nach entsprechenden Pressemeldungen laut FAZ. korrigierte – „Kunden“ des hauptbeschuldigten Sportarztes Mark Schmidt vor Ort bedient wurden und am Start waren.

Dass Blutdoping viele Risiken birgt, darauf machte auch Gräber noch mal aufmerksam. Er zeigte Bilder von Blutbeuteln und Equipment, das die Ermittler im Seefelder Hotelzimmer und der Erfurter Garage vorfanden. Eine Botschaft der Fotos: Sachgerechter Umgang vor allem auch unter dem Aspekt der Sterilität sieht anders aus. Bedenklich auch, dass das Blutdoping zwar „unter ärztlicher Aufsicht“ durchgezogen wurde, aber nicht immer von medizinisch ausgebildetem Personal. Dazu gehört auch eine Person, die am Montag in Erfurt festgenommen wurde. Die hat mutmaßlich das Blut transportiert und Blutabnahmen und -rückführungen an den AthletInnen vorgenommen.

Übrigens: Pro SportlerIn verlangte Sportarzt Schmidt für seine Dienste zwischen 4000 und 12000 Euro im Jahr. Das sind grob gerechnet jährlich mindestens 100 000 Euro.

Täglich neue Erkenntnisse

Es wird noch eine Weile dauern, bis Blutbeutel und Namen zugeordnet, Spuren an den Gerätschaften, von denen Schmidt auch welche aus dem Beständen von Stefan Matschiner für 50 000 Euro gekauft hatte, ausgewertet sind und und… Matschiner ist der österreichische Sportmanager, der  den Radprofis  Bernhard Kohl und  Michael Rasmussen beim Dopen geholfen hat. Dafür und wegen der Weitergabe von illegalen Dopingmitteln war er  2010 in Wien  verurteilt worden. Matschiger hatte vor kurzem noch in einem Fernseh-Interview gesagt, er  habe Schmidt die Geräte einfach überlassen.

 „Wir haben praktisch täglich neue Erkenntnisse“, sagt Gräber und verweist darauf, dass allein die Auswertung des Mailverkehrs etwa zwischen Sportlern und Hauptbeschuldigten dauern kann. „Das ist nicht die Sache von einigen Tagen. Wir haben eine spannende Geschichte mit vielen Wendungen, bei der die letzten Kapitel längst noch nicht geschrieben sind.“

Wer Gräber genau zuhört, muss nicht zwischen den Zeilen lesen oder interpretieren, sondern kann sich sicher sein: Da kommt noch einiges.

Warum Sportarzt Schmidt und seine Helfer auch weitergemacht haben, als ihnen nach dem Interview des österreichischen Langläufers Johannes Dürr klar sein musste, dass man ihnen auf der Spur war, kann sich auch Gräber nicht erklären. Schmidt berichtete seinem Gesprächspartner wohl in einem Telefonat, bei dem die Ermittler mithörten, dass die Unterlagen des unsicheren Kantonisten Dürr vernichtet seien. Gräber beschreibt das Gespräch „als euphorisch“. Was also heißt, dass man sich sicher war: Uns kann keiner. Bis dahin hatte das ja offensichtlich ziemlich gut funktioniert.

 

Diejenigen, die nun erwischt wurden, müssen mit einem Strafmaß von einem bis zehn Jahren rechnen, sagt Gräber. Ist es das wert? Mal abgesehen von der drohenden Strafe:  Doping ist schon lange kein Kavaliersdelikt mehr, und die Gesellschaft ist nicht mehr so gnädig, Dopingsündern mehr als eine zweite Chance zu geben. Argwohn und Misstrauen gegenüber SpitzensportlerInnen wachsen – nicht nur in den eigenen Reihen.

Hilflose Einlassung

Der Sport, vor allem der DOSB und auch Fachverbände wie Landessportbünde haben sich lange gegen ein Anti-Dopinggesetz gewehrt – bis zuletzt wurde mit der eigenen Gerichtsbarkeit und der Autonomie des Sports gegen eine gesetzliche Regelung gewettert, die mehr als überfällig war: Der Sport hatte schließlich im Anti-Dopingkampf jahrzehntelang nichts richtig auf die Reihe gebracht. Und auch heute wirkt er peinlich hilflos wie die Einlassung des Präsidenten des Deutschen Skiverbandes (DSV), Franz Steinle, im Deutschlandfunk bei der Abschluss-Pressekonferenz der Biathlon-WM in Schweden zeigt: „Was können wir noch tun, was können wir verbessern? Es muss unsere Aufgabe sein, im Rahmen eines dynamischen Prozesses die Sache immer zu optimieren. Und da wird der Schwerpunkt natürlich insbesondere auf der Prävention liegen.“

Ein Satz, der immer wieder aus der Kiste von SportfunktionärInnen geholt wird, wenn wieder einmal ein Aktiver aufgeflogen ist.

Inwieweit das 2015 verabschiedete Anti-Doping-Gesetz greift, wo es hakt, wo es nachjustiert werden muss, wird sich bei der Evaluierung zeigen. Seit der Seefeld-Razzia wird nun – vor allem von der Politik – die Kronzeugenregelung gefordert. Das tut auch der bayerische Staatsminister für Justiz, Georg Eisenreich. Zunächst dürfte er mit seinen Ermittlern und auch der länderübergreifenden Zusammenarbeit, vor allem mit Österreich, bisher zufrieden sein.

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft hat in den zehn Jahren ihres Bestehens rund 7100 Ermittlungsverfahren auf dem Tisch gehabt. In den ersten beiden Jahren waren es rund 200 Verfahren, in den vergangen fünf Jahren zwischen 700 und 1100. Seit 2018 kam es zu 1200 Verurteilungen. Aber nun dieser große Fall.

Kronzeugen tauglich?

Eisenreich sagt, dass aussagewillige SportlerInnen weitgehend von Strafverfolgung befreit werden sollten. Kritiker verweisen da auf den österreichischen Langläufer Johannes Dürr, der sich Medien und Ermittlern als geläutert präsentierte, was aber nur die halbe Wahrheit war: Er machte nach seiner „Läuterung“ munter mit Doping weiter, soll sogar Tipps an Kollegen gegeben haben, wo sie „Hilfe“ finden. Taugt er dann als Kronzeuge?

Während der Pressekonferenz, die auch per Livesteam übertragen wurde , fragte man sich, was wohl in den Köpfen derjenigen vorgeht, die sich da nun angesprochen fühlen müssen – nicht nur die, die Ermittler schon auf dem Schirm haben. Könnte der sachliche, ruhige Staatsanwalt Gräber mit seinen Vortrag doch den einen oder die andere bewegen, sich zu stellen? Könnten die Ausführungen zu den gesundheitlichen Risiken und die Bilder der „Tatorte“, die der Oberstaatsanwalt vorlegt, den einen oder anderen doch zur Besinnung bringen?

Wenn schon nicht zum Nachdenken oder gar Einsicht, dürfte diese Pressekonferenz wenigstens zu weiteren schlaflosen Nächten und Bangen potenzieller TäterInnen und ihres Umfelds führen.

Denn egal, wo sie gerade sind: Sicher können sie sich nicht mehr sein – man ist ihnen dicht auf der Spur.