DOSB-Granden im Schwitzen: Mitgliederversammlung der Athletenkommission will einen unabhängigen Verein gründen
Berlin, 12. Oktober – Die Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) schickt sich an, an diesem Wochenende bei der routinemäßigen Mitgliederversammlung einen revolutionären Schritt zu wagen: Sie schlägt ihren Mitgliedern zur Abstimmung eine finanziell und personell vom DOSB unabhängige Interessenvertretung vor, die formell als Verein unter dem Namen „Athleten Deutschland“ gegründet werden soll. Und jetzt hat der Dachverband offensichtlich Muffensausen davor, was das vor allem auch für ihn für Folgen haben kann. Vorsorglich verschickten DOSB-Präsident Alfons Hörmann und sein Vorstandsvorsitzender Michael Vesper vor Beginn des Athleten-Treffens schon mal per Mail einen Brief (liegt Sportspitze vor), datiert vom 12. Oktober 2017, an die Mitgliedsorganisationen. Weitere Erläuterungen dazu gab es auf Nachfrage bei der DOSB-Pressestelle nicht.
Die „RebellInnen“ im Trainingsanzug machen ernst. Sie treiben nun, so scheint es, Schweißperlen auf die Stirn der Groß-Muftis im Haus des Sports und sorgen bei denen für schlimmste Alpträume: Athleten, die aufmucken und sich nun zu einem unabhängigen Verein zusammentun wollen? Was für ein Schreckgespenst: Der DOSB verliert die Kontrolle über seine AthletInnen. Unvorstellbar – für die Funktionärs-Zampanos, die ja alles im Griff haben wollen.
Seit einem Jahr sind die Aktiven nun dabei, ihre Interessenvertretung zu konzipieren, eine Satzung mit kompetenter juristischer Begleitung zu schreiben. Über die Pläne ist der DOSB, wie Präsident und Vorstandsvorsitzender in ihrem Brief schreiben, bereits vor einem Jahr informiert worden. Und man habe auch einen Satzungsentwurf bekommen.
Abnabeln
Nicht nur das Abnabeln scheint der Führungscrew jetzt zu schaffen zu machen, sondern, wie im Brief auch zu lesen ist, das Geld, mit dem man das Unternehmen finanzieren wird. Zwischen 300.000 bis 400.000 Euro würde der Verein mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern und Büroräumen etwa jährlich kosten. Und dann sorgt man mal geschickt für Unruhe beim Rest der Sport-Familie mit folgendem Satz „Wir haben keine Informationen darüber, aus welchen Mitteln diese Kosten finanziert und wofür sie verwendet werden sollen und ob diese ggf. andere Bereiche der Sportförderung negativ tangieren würden.“
Mit anderen Worten: Man betätigt sich mal als Spaltpilz, jagt den Verbänden kurz den Schreck ein, dass sie da vielleicht etwas abgeben müssen. Dabei hat sich sicher auch in den DOSB-Führungsetagen herumgesprochen, dass die Athleten mit ihrem Vorhaben überall auf positive Resonanz gestoßen sind und sie nicht nur vom Bundesinnenministerium wohlwollend bei ihren Planungen begleitet werden.
Nicht damit gerechnet
Der DOSB hat offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die Aktiven mit ihren Plänen erfolgreich sein könnten und nahm sie wieder einmal nicht ernst. FunktionärInnen im deutschen Sport philiosophieren ja gerne über „mündige AthletInnen“, die ihnen, so beteuern sie, lieb und teuer sind. Aber nur dann, wenn sie brav sind. Denn SportlerInnen, die öffentlich auch mal was Kritisches sagen, sich konstruktiv einbringen wollen, wurden und werden von Offiziellen nicht selten zurückgepfiffen.
„Sportler sollen laufen und springen und ansonsten das Maul halten und tun, was man ihnen sagt“, gab vor einigen Jahren einmal ein Funktionär an der Loipe zum besten, als er darauf angesprochen wurde, dass wohl einige Aktive zu recht gegen ihr unmittelbares Trainingsumfeld aufbegehrten. Diese „pädagogische Umgangsformel“ mit AthetInnen haben FunktionärInnen so verinnerlicht, dass manche auch heute noch glauben, sie könnten sie anwenden.
Nicht mehr verstehen
Der DOSB-Präsident und sein Vorstandsvorsitzender scheinen nicht zu verstehen, warum die Aktiven eigene Wege gehen wollen. „Sportpolitisch ist zu fragen, was der eigentliche Sinn hinter dieser Initiative ist. Wenn man die Gründe liest, die aktuell dafür ins Feld geführt werden – etwa die Beteiligung an der Festlegung der Nominierungskriterien für die Olympischen Spiele oder die aktive Teilnahme am Anti-Doping-Kampf – dann stellt man fest, dass exakt dies originäre Aufgaben der gewählten Athletenkommission des DOSB sind, die auch heute schon auf „Augenhöhe“ wahrgenommen werden“, heißt es in dem Schreiben.
Auf Augenhöhe? Wäre dies so, gäbe es ja wohl keinen Anlass für die SportlerInnen, sich neu zu sortieren. Es gäbe viele Beispiele, wo ihnen Mitsprache und Respekt verweigert, ein Maulkorb verpasst wurde – etwa, wenn es um die Äußerung eigener Meinung zu Menschenrechtsfragen in problematischen Austragungsländern außerhalb von Sportarenen ging. Bei der Spitzensportreform wurden die AthletInnen erst dann wirklich dazu gebeten, als die Kritik immer lauter wurde und alles gelaufen war.
Auf Augenhöhe
Augenhöhe? Die ganze Nacht mussten die Athleten im Vorfeld der Mitgliederversammlung in Magdeburg, wo die Reform beschlossen wurde, um den Satz im Beschlusspapier kämpfen, dass „eine Einbindung der AthletInnen unter anderem in die Strukturgespräche zugesichert“ wird. Wo man über ihr Leben, Alltag und Zukunft bestimmen will, sollten die Betroffenen nicht mitreden? Denn Tatsache ist: Wer nicht mitzieht, nicht bereit ist, sich zum Beispiel Zentralisierungsmaßnahmen zu unterwerfen, die das Leben total auf den Kopf stellen, muss eben aufhören oder fliegt aus der Förderung. Basta! Beispiele dafür aus den letzten Monaten gibt es eine Reihe.
Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung, freie Berufswahl etc. sind Grundwerte in der deutschen Demokratie. Die gelten auch für den deutschen Sport, für den ohnehin viele Extrawürste gebraten werden.
Der DOSB möchte einerseits eine professionelle Organisation sein. Im Umgang mit seinem wichtigsten Kapital, den Athleten, um es im Unternehmer-Sprech zu sagen, mit dem mittlerweile im Haus des Sports in Frankfurt so gerne herumgephrast wird, befindet er sich aber im Mittelalter, wo auch manchmal virtuelle Daumenschrauben zu den Folterinstrumenten für die Aktiven gehören.
Vermeintliche Profis
Was die Athletensprecher unter Führung von Max Hartung und Silke Kassner in so kurzer Zeit zustande gebracht haben, trotz ihrer Mehrfachbelastung, sagt gleichzeitig viel über die vermeintlichen Profis, die sich ja im Präsidium und auf der Vorstandsetage des DOSB tummeln sollen.
Beispiel Bundeswehr: Die Athleten haben im direkten Gespräch mit Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihre Probleme geschildert und um Hilfe gebeten, die sie bekamen. Athleten und Bundeswehr gehen im Bereich Ausbildung und Absicherung in Zukunft gemeinsam neue Wege. Was die Aktiven in nicht einmal einem Jahr geschafft haben, dazu war der DOSB in den letzten elf Jahren – trotz eines umfangreichen Apparatschiks – nicht in der Lage. Oder auch nicht willens – Probleme aussitzen funktioniert nicht immer. Das stellt man gerade auch an anderer Stelle in dieser Republik fest.
Das Vorhaben der Athleten bedeutet eine Zäsur im deutschen Sport. Das scheint nun auch den Granden im DOSB zu dämmern. Denn man sucht nun nach dem Haar in der Suppe, um das alles zu verhindern. Oder im eigenen Sinn noch zu retten, was zu retten ist. Was fällt einem Deutschen dann als möglicherweise zu findendes Haar ein? Satzung und Strukturen. In dem Brief wird dann auch entsprechend schwadroniert. Wenn der Verein der Athleten innerhalb der DOSB-Strukturen bleiben würde, dann würde man „eine solche Initiative zumindest neutral oder auch gern unterstützend begleiten“, lassen die Herren wissen. Aber wenn eine teilweise Auslagerung in eine neue Struktur vorgesehen sei, „müssten wir uns schon aus formellen (Satzungs-)Gründen dagegen positionieren“. Hört man da das Pfeifen im Wald?
Schritt zum Profi-Sport
Was am Wochenende passiert, ist der erste Schritt in eine neue Richtung, die aus dem Spitzensport den Profisport mittelfristig hervorbringen wird. Sport ohne Funktionäre ist machbar, ohne Sportler aber nicht.
Wofür braucht die Republik eigentlich noch eine aufgeblähte, Geld fressende, ineffektive und selbstverliebte Sport-Dachorganisation? Abgesehen von der Arbeit als Dienstleister für internationale Ereignisse, hat der DOSB in den letzten Jahren viele gesellschaftspolitische Kompetenzen vernachlässigt, auf- oder abgegeben. „Gesellschaftlich starke Stimme“, heißt es gerne. Nach Mitgliederzahlen schon, aber sonst? Den deutschen Sport organisieren heute Landessportbünde, Fachverbände und Vereine – nahezu autark vom DOSB. Und auch die SportlerInnen kommen ohne DOSB sicher besser zurecht wie mit, wenn ihr Vorhaben umgesetzt wird.
Nicht nur seit dem Versuch der Leistungssportreform-Umsetzung wird deutlich, dass die Fachverbände im Prinzip mit dem Bundesinnenministerium ihre Anliegen (wie schon früher gehabt) vermutlich besser umsetzen als mit der Dach-Schnittstelle DOSB, dem es ohnehin in erster Linie um die Macht geht, die er längst verloren hat. Nur wollen das die Bosse im Haus des Sports nicht schnallen. Ebensowenig wie die Tatsache, dass man mit SportlerInnen nicht umgehen kann wie mit kleinen Kindern: Nur wenn du funktionierst und machst, was wir wollen, kommst du hier zurecht.
Verzahnt bleiben
Die Sprecher Hartung und Kassner betonen wie schon nach der Anhörung im Deutschen Bundestag im März dieses Jahres, dass man trotz angestrebter Unabhängigkeit mit dem DOSB verzahnt bleiben will, also etwa als Verein mit besonderen Aufgaben beim DOSB andockt.
Die Gründung des Vereins ist – wie gesagt – eine Zäsur – nicht nur im deutschen Sport, sondern auch weltweit: Es ist das erste Mal, dass Athleten diesen Schritt wagen. „Ein Präzedenzfall“, sagt Silke Kassner, die hofft, dass in anderen Nationen ähnliches passieren wird. Es ist an der Zeit: Lange genug schon lassen sich AthletInnen gängeln und fremdbestimmen. Jetzt werden FunktionärInnen sie richtig kennenlernen, die mündigen AthletInnen. Und was sie alles zustande kriegen, wenn sie sich erst mal warmgelaufen haben.