Ein Sportversteher und Kümmerer

Leistungssportabteilung des LSB Berlin: Frank Schlizio geht in Rente

Bild: Jürgen Engler/LSB Berlin

Berlin, 28.Januar. Frank Schlizio hat mit dem Ausräumen in seinem Büro begonnen. Zwar sind es noch ein paar Tage bis zum 28. Februar, seinem letzten Arbeitstag, aber man muss ja schon mal sichten: Was bleibt hier, was fliegt weg, was kann der Nachfolger Roman Kluge vielleicht noch aus dem Unterlagen-Fundus gebrauchen? Man kann sich das kleine, helle Büro in der Rudolf-Harbig-Halle in der Glockenturmstraße in Berlin ohne den freundlichen „Leistungssport-Bären“ Frank Schlizio gar nicht vorstellen: 16 Jahre hat er sich um Leistungssport und Spitzensport gekümmert als Abteilungsleiter im Landessportbund Berlin, für den er insgesamt 34 Jahre gearbeitet hat.

Menschen, die mit dem gebürtigen Ostberliner zu tun hatten und haben, beschreiben ihn nicht nur als fachlich kompetent, sondern auch seine Art mit seinem Team, AthletInnen oder TrainerInnen umzugehen, als sehr wohltuend und empathisch. „Frank ist nicht nur ein Leistungssportversteher, sondern auch ein Kümmerer“. So charakterisierte ihn mal jemand aus der Kollegenschar.

In zwei Systemen

Nun wäre es ja nichts besonderes, wenn ein hauptamtlicher Mitarbeiter aus dem Sport in den Ruhestand verabschiedet wird. Frank Schlizio ist da nun eine Ausnahme aus mehreren Gründen: Er arbeitete und wuchs mit und in zwei Sportsystemen auf. Er wurde im Arbeiter- und Bauernstaat groß, dort auch im Sport sozialisiert, erlebte das DDR-Sportsystem als Aktiver und Trainer im Gewichtheben. Und landete nach der Einheit im bundesdeutschen Sport.

Zum Gewichtheben kam ich eher durch Zufall. Ich hab’ auch Leichtathletik -Speerwerfen und Kugelstoßen – betrieben. Bei einem Schülerwettkampf, da war ich 15, kam ein Kreissportleiter auf meinen Freund und mich zu. Er sprach meinen Kumpel an, der klein und schmächtig war, ob er nicht mal zum Gewichtheben wolle. Ich bin mit ihm da hin – ich bin geblieben, er ist nach einem Jahr gegangen. Die ersten Gewichtheber-Jahre verbrachte er bei Rotation Berlin, bevor er dann zum TSC Berlin wechselte. Es wurde am Ende, trotz guter Entwicklungen in den ersten Monaten und einer Zunahme seines Körpergewichts von 15 Kilo in acht Monaten, dann doch keine große Sportler-Karriere, wenn man einen vierten Platz im Zweikampf bei nationalen Meisterschaften nicht zu würdigen weiß.

Baufacharbeiter, dann Sportwissenschaft

Der gelernte Baufacharbeiter mit Abitur erkannte seine Stärken als Trainer. Schon mit 16 war Schlizio im TSC als Übungsleiter im Einsatz. „Immer, wenn der Männertrainer unterwegs war mit den Besten, übernahm ich die Korrekturen bei den Techniken meiner Trainingskameraden“, erinnert sich der 65-Jährige. Später wurde ihm der Cheftrainerposten angetragen – und nach seinem Armeedienst, von dem er eigentlich als Tätiger im Leistungsport freigestellt war, zu dem er aber plötzlich mit 26 Jahren im Mai 1986 einberufen wurde und seine 18 Monate doch ableisten musste, kehrte er als Nachwuchstrainer zurück.

Dazwischen hatte der junge Familienvater ein Studium der Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule für Körperkultur mit einem Diplom abgeschlossen. Man möchte sagen, es ging alles irgendwie seinen sozialistischen Gang.

Aber, so erinnert sich Schlizio, der damals am Alexanderplatz wohnte, „irgendwie merkte man, dass etwas im Gange war“. Nicht zuletzt wegen der Demonstrationen, sondern auch wegen einer subtilen Unruhe unter den Leuten im Alltag. Schlizio ging am 9. November seiner gewohnten Arbeit bis zum Feierabend nach – und dann nach Hause.

Mauerfall – einen Tag später

Am 10.November war er sehr früh im Trainingszentrum und wartete auf seine Athleten. Die kamen aber nicht, obwohl sie wussten, dass Unpünktlichkeit beim Trainer nicht gut ankam. „Mit Verspätung trudelten sie ein, müde und unkonzentriert. Ich fragte: Was habt ihr denn gemacht, was ist los?“ Antwort: „Trainer, wir waren am Kudamm – hast du denn nichts mitbekommen?“ Schlizio eilte ins Trainerzimmer, schaltete das Radio an und erfuhr so erst, dass die Grenzen offen waren.

Ich fand mich am Anfang überhaupt nicht zurecht – ich war überzeugter DDR-Bürger“, sagt Schlizio. Er steht dazu, versucht sich nicht in Rechtfertigungsarien, wie das viele noch immer tun, wenn sie auf ihr Leben in der DDR angesprochen werden, das nicht von Repressalien oder Druck, Überwachung und Benachteiligung geprägt war.

Die Zurechtfindungsphase im vereinten Deutschland dauerte etwas. „Ich hab erst überlegt, nochmal zu studieren, etwas ganz anderes – Bankwesen oder sowas“, aber dann wurde ich gefragt, ob ich als Nachwuchs/Landestrainer Gewichtheben beim Landessportbund Berlin arbeiten möchte.“ Er mochte.

Unterschiedliche Sportsystem-Erfahrungen

2009 übernahm er dann die Abteilung Leistungssport im LSB. Und nicht nur für den Berliner, sondern auch für den nationalen Leistungssport war das eine gute Wahl. Seine positiven wie negativen Erfahrungen mit dem DDR-Sportsystem kamen ihm bei seinen neuen Aufgaben zugute.

Dass Spitzensport ohne die Suche nach Talenten und Nachwuchskonzepten auf Dauer nicht funktionieren kann, war der Grund, warum er sich schnell um dieses Thema kümmerte. Das Projekt „BERLIN HAT TALENT“, das er maßgeblich mit initiiert hat, wurde zu einem der erfolgreichsten Förderprogramme der Republik. „Da waren wir die ersten, die auch Interventionsmaßnahmen in den Blick genommen haben.  Und es geht ja vor allem darum, motorische Fähigkeiten zu erkennen und zu fördern. Von Talenten und auch weniger Talentierten“, sagt der dreifache Familienvater. Ob am Ende sich dann Talente für einen Weg in den Leistungssport entscheiden, bleibt ihnen überlassen. „Aber dieses Programm ist auch dazu gedacht, dass man ganzheitlich fördert, dass nicht nur Eltern, sondern auch Kita-und Schulverantwortlichen gezeigt wird, dass körperliche Schulung, Motorik wichtig sind für die Bildung von Kindern und Jugendlichen. Nicht nur Mathematik und Deutsch sind wichtig, auch Körperbildung.“

Dauerprobleme

Apropos – Frage: Genau diese Akzeptanz würde doch dann endlich dazu führen, dass eines Tages Deutschland zu einer Sportnation wird, die wir ja nicht sind, oder? „Ja, von klein auf Sport als selbstverständlich zu erachten.“

Kinder an den Sport heranführen, ist nun leichter gesagt als getan: Zu wenige und heruntergekommene Sportstätten und fehlende qualifizierte Sportlehrkräfte sind seit Jahrzehnten Dauerprobleme, deren Lösung Kultusminister/Sportminister in altbekannten Sonntagsreden genauso lange ankündigen. So, wie viele andere Lösungen sowohl auf politischer Seite, aber auch aus dem Sport, auf sich warten lassen.

Etwa TrainerInnen-Ausbildung und Bezahlung. Schlizio setzte sich nicht nur für ein Jugendtrainer-Programm ein, sondern auch für deren bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Was in anderen Verbänden und im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) offensichtlich unlösbar scheint, haben die Berliner hinbekommen.

Auch das „Berliner Leistungssportkonzept“, das der LSB zusammen mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport und dem Olympiastützpunkt Berlin vorgelegt hat, ist ein Verdienst von Frank Schlizio und seiner Mannschaft. Überhaupt: Das Miteinander von Politik und Sport, aber auch von Sport mit dem Sport, also LSB mit Verbänden, Vereinen, Eliteschulen und der Sportmedizin – im Leistungssport laufen die Fäden im kleinen Büro von Frank Schlizio zusammen.

Aufklärung und Prävention

Geprägt von seiner Zeit im DDR-Sport, war ein wichtiges Anliegen für ihn der Kampf gegen Doping. „Prävention und Aufklärung in diesem Bereich sind unheimlich wichtig. Wir haben damit einen durchschlagenden Erfolg gehabt bei den SchülerInnen an den Eliteschulen. Doch nicht nur ihnen wollen wir klar machen, dass sie beim Doping vor allem sich selbst betrügen. Auch die Eltern werden mit einbezogen. Wir haben das mittlerweile größer aufgezogen, etwa auch mit Ernährungsberatung.“

Schlizio war aber nicht nur in Berlin als ausgewiesener und geschätzter Fachmann gefragt. Auch wurde er gerne in diverse Arbeitsgemeinschaften rund um den Spitzensport geholt. Doch die Entwicklung um den nationalen Spitzensport sieht er kritisch und skeptisch. „Es sind hier ständig neue Versuchsballons gestartet worden. Aber man muss sich doch mal für ein Ziel und einen Weg dorthin entscheiden. Und dann die Leute arbeiten lassen, die dafür Verantwortung tragen, ohne sie ständig mit dem Hinweis auf die nächsten Olympischen Spiele und zu erwartende Medaillen unter Druck zu setzen.“ So würden gute Leute wie etwa der ehemalige Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig rausgekegelt. „Auch sein Nachfolger Olaf Tabor, der fleißig ist und sich da reinarbeitet, den soll man doch mal machen lassen. Und Zeit geben.“

Und nicht alle paar Monate wieder neue/alte Ideen wie Sportfördergesetz, Sportstaatsminister im Kanzleramt, Leistungssport AG zum Stein der Weisen zu erklären.

Vertrauen und Kontinuität

Es geht, so sagt der scheidende Abteilungsleiter, um Vertrauen und Kontinuität. „Ich bin wirklich dankbar, dass mir von allen Seiten bei meiner Arbeit Vertrauen entgegengebracht wurde. Ohne das geht es nicht. Und das Vertrauen hatte dann Kontinuität zur Folge. Natürlich gibt es auch im besten Verhältnis mal Ärger, aber gute Arbeit und Erfolge entstehen eben aus Vertrauen, Teamarbeit und konstruktiven Diskussionen.“ Schlizio kann mit dem Gefühl gehen, dass er seinem Nachfolger ein gut bereitetes Leistungssportfeld übergibt.

Spannend sei nun der Abschied und der Start in einen neuen Lebensabschnitt. Und was kommt nach dem LSB, „der mein Leben war“, wie der Rentner in spe melancholisch anmerkt? Man soll niemals nie sagen, meint er. Aber auf keinen Fall will Schlizio irgendein Funktionärsamt in einem Verband übernehmen. Dann lieber im Verein als Übungsleiter arbeiten. Oder so was.

Ganz weg vom LSB ist er nach dem 28. Februar nicht: Er gehört dem Vorstand der Manfred und Reinhard von Richthofen-Stiftung an. Und seiner großen Passion Sport bleibt er so oder so lebenslang verbunden.