Rückwärts immer – Jubelfeier der Unverbesserlichen

Eine sportpolitische Randnotiz über deutsch-deutsche Befindlichkeiten

Berlin, 5 Mai. „Vorwärts immer – rückwärts nimmer.“ Den Spruch ihres Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, den er zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 in seiner Festansprache zum besten gab, hatten die Herrschaften wohl nicht mehr so parat. Denn ihr Motto ist: „Rückwärts immer – vorwärts nimmer.“

Vor einer Woche gab es eine spooky Party der Unverbesserlichen und Ewiggestrigen.Was wurde gefeiert? „Ein würdiges Jubiläum – 60 Jahre Deutscher Turn- und Sportbund“, wie auf dem Blog „DDR-Kabinett-Bochum“ nachzulesen ist.

„Auf den Tag genau feierten am 28. April 2017 in Berlin-Marzahn Sportler, Trainer, Übungsleiter, Funktionäre, Kampf- und Schiedsrichter, Sportmediziner, Sportwissenschaftler, DDR-Vertreter internationaler Sportorganisationen und Verbände, Mitarbeiter in den Sportverbänden, der Sport-und Fußballclubs, der Sportschulen und Sportstätten, Sportlehrer und die unzähligen ehrenamtlichen Helfer des Sports den Jahrestag der Gründung dieser Massenorganisation“ steht da. Handverlesenes Publikum offensichtlich. Und keiner kriegt den  Auflauf mit? Wer wollte da auch schon hin, wenn der DTSB à la DDR glorifiziert wird, von denen, die ihn selbst erfunden und getragen haben. Etwa von Thomas Köhler. Einst Meister-Rodler des Arbeiter- und Bauernstaates, später Cheftrainer der DDR-Rodel-Nationalmannschaft. Dann im DTSB Vizepräsident, zuständig für Leistungssport und „maßgeblich am dopingunterstützten Erfolg der DDR-Sportler beteiligt“, wie es so treffend in seiner Vita auf Wikipedia heißt.

Während gerade Radsportidol Gustav-Adolf „Täve“ Schur wegen seinem zweiten Anlauf in die Hall of Fame des deutschen Sports in die Kritik geriet, bereiteten andere unerschütterliche DDR-Sportprotagonisten das Jubiläum vor.

Die neuerliche Nominierung Schurs – 2011 hatte er es schon mal versucht – hatte heftige Proteste nicht nur bei Dopingopfern ausgelöst, sondern auch bei Hall-Mitgliedern wie dem ehemaligen Trainer Henner Misersky, der sich gegen das Sportsystem und somit gegen das DDR-Regime stellte, oder dem Ehrenvorsitzenden des Aufsichtsrats der Deutschen Sporthilfe, Hans Wilhelm Gäb.

Der Doppel-Weltmeister Schur, ehemaliger Abgeordneter der Volkskammer und später des Bundestages, hat sich nie vom DDR-Unrechtssystem distanziert. Ganz im Gegenteil. In einem Interview im „Neuen Deutschland“ verharmloste er vor kurzem wiederholt das Doping in der DDR.

Nun feierten die Bonzen von einst nicht nur den DTSB, sondern sich selber. Und Köhler als Laudator in eigener Sache betreibt mündlichen und schriftlich Klassenkampf und lässt den DTSB in besagten Blog-Beitrag wieder auferstehen.

Kostprobe: „Die Erfolgsgeschichte des DTSB hatte bis zu seiner jähen Einverleibung viele Facetten, die an dieser Stelle weder vollständig noch umfassend dargestellt werden können. Die Begriffe Breitensport, Volkssport, Sport für Alle trugen zu Recht diesen Namen, denn laut Art. 25 der Verfassung der DDR (in der Bundesrepublik ist es bis heute nicht gelungen, das Recht auf sportliche Betätigung verfassungsgemäß festzulegen) wurde jedem Bürger die Möglichkeit garantiert, Sport zu treiben.“ Und ein paar Zeilen weiter: „Es wäre zu einseitig, die Erfolge des Leistungssports nur in den errungenen Medaillen bei Olympischen Spielen oder internationalen Meisterschaften zu messen. Das Streben nach sportlichen Höchstleistungen war stets verbunden mit einer allseitigen Persönlichkeitsentwicklung. Viele unserer besten Sportler waren und sind, wie z.B. „Täve“, noch bis heute Diplomaten im Trainingsanzug und Vorbild für die Jugend.“ Ein Toast!

Spätestens, wenn er über die Erfolgsfaktoren des DDR-Sports, die nur in „ihrer Komplexität zur vollen Entfaltung gelangen konnten“, schwadroniert, dann reicht es endgültig. So viel Geschichtsklitterung und Borniertheit sind nüchtern schwer zu ertragen. Und man man möchte den 77-jährigen Köhler fragen: Wo waren Sie die letzten 28 Jahre nach der Vereinigung? Und in welchem Paralleluniversum leben Sie jetzt? Überhaupt nichts dazugelernt? Keine Einsicht? Kein Wort der Entschuldigung an die Athleten und Athletinnen – die teilweise damals noch Kinder waren -, die ein Leben lang mit den körperlichen und seelischen Folgen des glorreichen DDR-Sportsystems zu kämpfen haben?

Aber was soll man erwarten von Überzeugungstätern?

„Nur wenige Menschen sind stark genug, um die Wahrheit zu sagen und die Wahrheit zu hören“, sagt der französische Philosoph Luc de Clapiers Vauvenargues. Und sie zu ertragen. Ewiggestrige gehören nicht dazu.