DFB-Präsident Niersbachs eilig einberufene PK wird zu einem weiteren Fiasko und trägt keineswegs zur Aufklärung der Ungereimtheiten um die WM-Vergabe 2006 bei
Berlin, 22./23.Oktober. „Spieglein, Spieglein an der Wand, kam die WM mit Korruption ins Land?“ Das Spieglein ist das Nachrichtenmagazin „Spiegel“, und das hat, wie bekannt, in seiner letzten Ausgabe, den Deutschen Fußballbund in schweres Fahrwasser und Erklärungsnot gebracht. Denn die alte/neue Frage steht noch immer im Raum: Wurde die Fußball-WM 2006 gekauft? Das Magazin und Theo Zwanziger legen am Freitag nach.
Nun endlich, wollte man sagen, rafft sich der Präsident des Deutschen Fußballbundes, Wolfgang Niersbach, auf, um einiges zu erklären. Aber – es wird nicht besser. Am Donnerstag um 11.45 Uhr kommt die Pressemitteilung, dass es um 13 Uhr in Frankfurt beim DFB eine Pressekonferenz gibt. Pech für Journalisten, die nicht gerade vor dem DFB-Haus stehen oder in der Nähe wohnen. Ziemlich überraschende Einladung, aber man kann live dem Auftritt Niersbachs dank Phoenix und anderer Nachrichtensender beiwohnen.
Nervös ist nichts dagegen
Was dann da abläuft? Ja, wenn das ein Befreiungsschlag sein sollte, dann ist der Ball aber sowas von im eigenen Tor gelandet!
Niersbach wirkt müde und angeschlagen, die Augenringe und die graue Gesichtsfarbe deuten auf wenig Schlaf hin. Er verhaspelt sich ständig, scheint die richtigen Worte zu suchen. Nervös ist nichts dagegen.
Kein Wunder: Seit seinem Besuch am Dienstag bei Franz Beckenbauer in Salzburg dürfte seine innere Unruhe noch gewachsen sein, denn da hängt ein Damoklesschwert über ihm und dem DFB.
Eingangs verspricht der Präsident: „Ich möchte jetzt am heutigen Tag die Gelegenheit nutzen, in aller Offenheit und Ehrlichkeit die Dinge so darzustellen, wie ich sie in Erinnerung habe und teilweise auch erst seit kurzem kenne.“ Und dann versichert er zum wiederholten Mal: „Es ist bei der WM-Vergabe alles mit rechten Dingen zugegangen.“
Skurril und sonderbar
Doch dann werden die Ausführungen skurril und sonderbar. Ein 6,7 Millionen Euro-Darlehen des früheren Adidas-Bosses Robert Louis-Dreyfus, das 2005 an die Fifa zurückgezahlt wurde, hatte der Franzose den WM-Machern drei Jahre zuvor zur Sicherung eines 170 Millionen-Euro-Zuschusses der Fifa zu den Organisationskosten gegeben. Denn der DFB wollte, wie auch die WM-Veranstalter Japan und Südkorea, zuvor einen Zuschuss. Der Weltverband sagte diesen auch zu, aber soll diese ominösen 10 Millionen Schweizer Franken (6,7 Millionen Euro) als Gegenleistung gefordert haben. „Da stehen Fragezeichen, die sehe ich auch“, sagt Niersbach. „Ich zermartere mir den Kopf, seitdem das in der Welt ist“, sagt er. Aber Antworten findet er offensichtlich nicht. Er, dem ein phänomenales Gedächtnis nachgesagt wird, der sich an jedes Tor erinnern kann, hat Erinnerungslücken. Da, wo es wichtig wird.
Beckenbauers Privatangebot
Die hat auch Franz Beckenbauer. Aber es gibt noch Erinnerungs-Bruchstücke des „Kaisers“ – etwa an die sonderbare „Vorauszahlung“ für den Zuschuss. Diese, so sagt Niersbach über Beckenbauers Auskünfte, sei in einem Vieraugen-Gespräch zwischen ihm und dem Fifa-Präsidenten Joseph Blatter vereinbart worden. Das OK habe zu dieser Zeit noch keine Eigenmittel gehabt. Deshalb wollte Beckenbauer die zehn Millionen, so Niersbach weiter, zunächst aus seinem Privatvermögen zur Verfügung stellen. Davon habe ihm aber sein damaliger Manager Robert Schwan mit dem Hinweis „er solle sich da raushalten“ abgeraten. Warum wohl? Schwan stellte dann auch, so habe Beckenbauer berichtet, den Kontakt mit Louis-Dreyfus her.
Nicht mehr präsent
„Der weitere Verlauf ist Franz Beckenbauer aber nicht mehr präsent“, so Niersbach weiter. Wie überraschend! Er erklärt in eigener Sache: „Ich habe von den Bedingungen der Fifa nichts gewusst. Von der Überweisung der 6,7 Millionen an die Fifa habe ich erst auf merkwürdigen Umwegen in diesem Sommer erfahren.“ Welche merkwürdigen Umwege das waren, wollte er nicht sagen.
„In Finanzfragen war ich nur sehr bedingt eingebunden“, betont Niersbach, der ehemalige WM-OK-Vizepräsident, der aber zum Beispiel auch nicht mehr ausschließen kann, dass dem „Spiegel“ tatsächlich ein Papier mit einer Notiz zu dem Dreyfus-Darlehen von ihm vorliegt. „Wir hatten da täglich so viele Papiere und Verträge auf dem Tisch.“
Und was er auch noch weiß: dass Dreyfus 2004 das Geld wieder zurück haben wollte,woraufhin die Fifa den DFB zur Kasse bat. Der überwies unter dem Posten „Beitrag zum Kulturprogramm“ die 6,7 Millionen -wie gesagt- 2005. Dass hinter dieser Überweisung „einer Position unter 100“ die Rückzahlung des Darlehns stand „war mir nicht bewusst,“ sagt Niersbach.
Aber es schien sich im OK und im Aufsichtsrat überhaupt niemand für die Frage zu interessieren, was das für merkwürdige Hin-und-her-Überweisungs-Aktionen sind. Oder gab es eine doppelte Buchhaltung? Oder…
Fifa widerspricht
Oder war alles doch ganz anders? Denn: Widerspruch kommt noch am Donnerstag aus der Fifa-Zentrale in Lausanne. „Es entspricht in keinster Weise den Fifa-Standardprozessen und Richtlinien, dass die finanzielle Unterstützung von WM-OKs an irgendwelche finanziellen Vorleistungen des jeweiligen OKs oder seines Verbandes gekoppelt ist“, heißt es in einer Erklärung. Und weiter: „Im übrigen ist eine Finanzkommission weder berechtigt, Zahlungen irgendwelcher Art in Empfang zu nehmen, noch verfügt sie über ein eigenes Bankkonto.“ Die Angelegenheit werde nun intern und extern von Anwälten untersucht, und der DFB werde zur Mitwirkung aufgefordert, lässt die Fifa wissen. Auch Joseph Blatter dementiert Niersbachs Darstellung prompt.
Verwirrung und Kampfduzer
Was stimmt denn nun? Die Antworten Niersbachs verwirren offensichtlich nicht nur die Journalisten. Fragen, wieso man eine Art Gebühr für den Millionen-Zuschuss der Fifa bezahlen musste, irritieren ihn ebenso wie die Frage, warum man nicht einen Bankkredit beantragt hat. Am Ende der etwa 40-minütigen Pressekonferenz stehen mehr Fragen im Raum als vorher. Nach Niersbachs Ausführungen kommt man zu der Überlegung, dass es wohl nicht nur Franz Beckenbauers Charme allein war, der die WM nach Deutschland brachte. Die Luft – besonders auch um den „Kaiser“ – wird nun nach der Darstellung des DFB-Präsidenten noch dünner. Man wünscht sich, dass Theo Zwanziger schnell aus dem Urlaub zurückkehrt, weil er ja als ehemaliger Schatzmeister des OK mit einem Blick in seine Unterlagen doch sicher dem DFB-Untersuchungsgremien und der Fifa bei der Aufklärung helfen kann. Und muss. Und es gibt ja noch andere wie Horst R. Schmid oder Günther Netzer und Thomas Bach, die zur Aufklärung beitragen könnten.
Fast könnte man mit Niersbach Mitleid bekommen, der die Affäre erklären soll, (wo er doch nur Pressechef war und bei vielem nicht so nah dran gewesen sein will) und nicht weiß wie. Er erzählt viel, ohne was Konkretes zu sagen: „Es ist wahrscheinlich so, daran kann ich mich nicht erinnern, weiß ich nicht, entzieht sich meiner Kenntnis“, sind die Phrasen, die er als Medienchef unzählige Male erfolgreich der Kollegen-Schar vorsetzen konnte. Nun ist er selbst in der Bredouille und die Phrasen wirken nicht mehr – zumindest bei vielen Kollegen. Mit einigen Journalisten verbindet ihn doch so was wie eine „heimliche Nähe“, die durch ein vertrauliches Du rüberkommt: Du, Kumpel Wolfgang, nimm’s nicht übel, aber wir müssen das fragen….!
Aber auch Kampf-Duzer kennen keine Gnade, wenn es um eine Story geht, wie – ein Beispiel der letzten Tage – die Lichtgestalt erfahren musste. Nun, solange sich seine Kollegen, in gesprächiges Schweigen hüllen, laviert er halt, so gut es geht. Vom „Kasperltheater“, wie Beckenbauer gerne Aufklärungsversuche der Fifa zu Korruptionsvorwürfen bei WM-Vergaben bezeichnet, haben alle genug.
Nicht nur quatschen
Nee, Jungs, so geht es nicht! Zeigt mal Teamgeist. Ihr quatscht doch sonst so gerne über Fair Play, jetzt haltet euch mal daran. Und sagt die Wahrheit. Das Sommermärchen bleibt das Sommermärchen, weil die Fans es zu dem gemacht haben. Aber die wollen nun auch die Wahrheit wissen, wie die WM nach Deutschland kam. Und die Wahrheit seid ihr allen schuldig.
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Theo is back – zumindest meldet sich Zwanziger am Freitag nun wieder im “ Spiegel“ zu Wort. Er bezichtigt Niersbach der Lüge, und sagt, dass es sehr wohl eine „schwarze Kasse“ in der WM-Bewerbung gab. Und Niersbach hätte davon seit mindestens 2005 gewusst.
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Das DFB-Präsidium stärkt dagegen seinem Präsidenten am Freitag in Dortmund den Rücken, und verspricht Aufklärung ohne Rücksicht auf Personen. Am Abend gibt es in Dortmund eine Gala anläßlich der Eröffnung des Fußball-Museums. Das Timming dafür ist nun nicht gerade ideal. Beckenbauer und Netzer haben abgesagt. Krisenstimmng ist halt nix für Gute- Laune-Bären und vor allem nicht für Idole in Erklärungsnot.