(Keine) Überraschung: WM-Vergabe 2006 war gekauft – sagt der Spiegel – und die Welt fragt was ist in Deutschland los
Berlin, 16. Oktober. „An Tagen wie diesen….“, möchte man entweder heulen oder vor Ärger in die Tischkante beißen. Nun scheinen sich tatsächlich die Gerüchte zu bewahrheiten, die es schon unmittelbar nach der Vergabe im Jahr 2000 gab, dass die Fußball-WM 2006 auch gekauft war. Warum sollte es bei dem deutschen Sommermärchen auch anders sein als bei anderen Weltmeisterschaften, wo ohne Schmiergelder gar nichts ging: Der Fifa-Skandal, der im Mai so richtig ins Rollen kam, machte noch einmal deutlich, dass in Frankreich 1998 oder Südafrika 2010 Delegierten-Stimmen nur mit „Extras“ zu bekommen waren. Auch Russland (2018) und in Katar (2022) sollen nur so zu ihren WM gekommen sein.
Der DFB hat im Mai als das Fifa-Debakel begann, immer Nachfragen abgebügelt, ob da wegen 2006 doch etwas kommen könnte. Da sei nichts dran. Selbst der damals zuständige Bundesinnenminister Otto Schily und sein Kanzler Gerhard Schröder fühlten sich zu Dementis bemüßigt. Bei Kanzlerreisen im Vorfeld der WM-Vergabe gelangten asiatische Unternehmer an lukrative Verträge mit deutschen Konzernen. Fußballfunktionäre, aber auch ein anderer Sportfunktionär mit ausgezeichneten beruflichen Verbindungen zu Adidas oder Mercedes waren da in den Delegationen in der Kanzler-Maschine an Bord. Normales Agieren. Aber es wunderten sich damals Beobachter, was plötzlich für „Rasen-Geschäfte“ entstanden waren.
Niersbach irritiert
Ebenso irritierte manche in letzter Zeit die auffällige Zurückhaltung von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach in Sachen Fifa-Skandal. Das neugewählte Mitglied der Fifa-Exekutive fiel vor allem durch einen verbalen opportunistischen Eiertanz auf, das nur dann Kritik übte, wenn es nicht mehr anders ging. „Es muss alles auf den Tisch“, war seine heftigste Forderung, als die US-amerikanische Justiz und Steuerfahndung mit den Schweizer Behörden im Schlepptau nun plötzlich dem Fifa- Boss und Freund Sepp Blatter auf die Pelle rückten und dessen engste Spießgesellen ihm nach und nach abhanden kamen.
Nun also meldet der Spiegel, dass es auch beim deutschen Bewerberkomitee eine schwarze Kasse gab. Mit 6,7 Millionen Euro (10,7 Millionen Franken) soll diese der frühere Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus gefüllt haben. Dreyfus, millionenschwerer Erbe einer Handels- und Reederdynastie, galt als großer Strippenzieher. (Er war übrigens auch dem zockenden Uli Hoeneß mit Geld behilflich). Die obersten deutschen Fußballfunktionäre jedenfalls sollen über die private Finanzspritze unterrichtet gewesen sein.
Das legendäre Golfspiel
Mit dem Geld, das weder im Haushalt des Bewerberkomitees, noch später im Etat des Organisationskomitees auftauchte, seien vier Stimmen aus Asien gekauft worden. Am 6. Juli 2000 gewann Deutschland knapp mit 12:11 vor dem favorisierten Südafrika. Im letzten Wahlgang hatte der Neuseeländer Charles Dempsey den Saal verlassen und nicht mit abgestimmt. In dem Zusammenhang gibt es die schon legendäre Geschichte von einer Golfeinladung des damaligen OK-Chefs Franz Beckenbauer an Dempsey. Insider sprachen schon damals davon, dass da einer auf dem Green auf deutschen Kurs gebracht werden sollte. Der neuseeländische Verband wollte für Südafrika stimmen, Dempsey nach dem Abschlag für Deutschland.
Der Spiegel berichtet weiter, dass Dreyfus, der 2009 starb, das geliehene Geld zurückgefordert haben soll – 6,7 Millionen Euro. Der Betrag sei als deutscher WM-Beitrag auf ein Fifa-Konto nach Genf überwiesen und von dort auf ein Konto von Dreyfus weitergeleitet worden.
Keinerlei Hinweise
Der DFB gab am Freitag eine Stellungnahme heraus, in der er darauf verwies, dass er sich wegen der auftretenden Mutmaßungen mit der WM-Vergabe 2006 beschäftigt habe. Ergebnis: „Im Rahmen seiner Prüfungen hat der DFB keinerlei Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gefunden. Ebenso wenig haben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Stimmen von Delegierten im Zuge des Bewerbungsverfahrens gekauft wurden.“ Allerdings ist er doch fündig geworden. „Im zeitlichen Zusammenhang mit diesen Prüfungen sind dem DFB Hinweise bekannt geworden, dass im April 2005 eine Zahlung des Organisationskomitees von 6,7 Millionen Euro an die Fifa geleistet wurde.“ Eigentlich sei das Geld für ein Fifa-Kulturprogramm vorgesehen gewesen. Auch wenn die Zahlung nicht für den angegebenen Zweck verwendet worden sei, stehe sie nicht unbedingt im Zusammenhang mit der WM-Vergabe, ließ der DFB wissen.
Unter Druck
Aber das Desaster ist da: DFB und Präsident sind unter Druck, auch weil dem Spiegel ein Papier vom 23. November 2004 vorliegt, in dem es um die Überweisung an „RLD“ (Dreyfus) geht und auf dem auch eine handschriftliche Notiz von Niersbach zu finden sei. Selbst, wenn sich nichts bestätigt – es bleibt etwas hängen, das weiß der ehemalige Pressemann Niersbach sicher.
Für einen weiteren Treppenwitz der Sportgeschichte sorgte nun wieder die Fifa: Der korrupte Fifa-Laden wird die Vorwürfe gegen die Deutschen untersuchen, das heißt dass wegen der 90-Tage-Sperre Blatters durch die Ethikkommission nun der ebenfalls umstrittene Kameruner Issa Hayatou, der als dienstältester Vizepräsident die Fifa führt, da sicher das „richtige“ Verfahren veranlasst.
Sollten sich die Spiegel-Informationen bestätigen, dann werden sich neben der jetzt zum Schattenmann mutierenden Lichtgestalt, dem ehemaligen OK-Chef Beckenbauer, und Niersbach auch die anderen OK-Mitglieder Fragen gefallen lassen müssen: Horst R. Schmidt, damals DFB-Generalsekretär, war als OK-Vize für Turnierorganisation, Stadien, Hotel und Unterbringung, Transport, Verkehr und Kartenverkauf zuständig. Theo Zwanziger , damals geschäftsführender DFB-Präsident, hatte die Verantwortung in den Bereichen Finanzen, Personal und Recht und Niersbach für Presse-und Öffentlichkeitsarbeit. Und da wäre noch die Rolle des Geschäftsmanns Fedor Radman, im deutschen Sport lange dabei, wenn etwas Großes anstand, Busenfreund des Kaisers, 2001 zunächst Vize im OK, dann 2003 Berater für das Präsidium, zu hinterfragen.
Gute Bekannte im Aufsichtsrat
Zweimal im Jahr mussten OK-Chef Beckenbauer und seine Vizepräsidenten einem achtköpfigen Aufsichtsrat berichten, dessen Vorsitz Gerhard Meyer-Vorfelder hatte. In dem Gremium saßen u.a. der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, der jetzige IOC-Präsident Thomas Bach und Günter Netzer.
Özcan Mutlu, Sprecher der Grünen im Sportausschuss des Bundestages, ist empört: „Bestätigen sich die schweren Vorwürfe, ist der Fifa-Skandal mit aller Härte auch in Deutschland beim DFB angekommen … Die neuen Vorwürfe scheinen jetzt auch das unverständliche Stillhalten der deutschen Fußballfunktionäre im Fifa-Skandal zu erklären…. Jetzt sind Offenlegung, Transparenz, und die Wahrheit gefragt. Herr Niersbach und Herr Beckenbauer sind keine Zaungäste mehr. Wir fordern beide auf, reinen Tisch zu machen“, heißt es in einer Stellungnahme. Und auch Bundesjustizminister Heiko Maas fordert Aufklärung.
Ende einer Legende
Falls sich die Vorwürfe bestätigen, dann wäre das ein Skandal, der den Bundesligaskandal der 70er Jahre toppen würde. Und es wäre das unrühmliche Ende eines legendären, lächelnden Kaisers und eines Präsidenten, der seine Meinung nach dem Mehrheitswind richtet und kein Gespür dafür hat, wann es Zeit ist, selbst Flagge zu zeigen.
Zu bedauern wären die deutschen Fußballfans, die wieder einmal von Funktionären vera … wurden. Übrigens, meine Herren auf den korrupten Plätzen: Ohne Fans wäre das Sommermärchen keines gewesen. „Zu Gast bei Freunden“, war das Motto damals, und die Deutschen haben sich von ihrer besten Seite gezeigt. Und jetzt? Erst VW und jetzt der DFB. Wie sagte Heinrich Heine: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“