In Landessportbünden werden parallel zur DOSB/BMI-Reform regionale Leistungssportkonzepte entwickelt
Berlin,30. September. Auch wenn es jetzt gerade um die Leistungssportreform öffentlich etwas ruhiger geworden zu sein scheint, wird hinter den Kulissen weiter kräftig an der Umsetzung gebastelt. Allerdings: Nicht zuletzt wegen der Bundestagswahl und einer zu erwartenden langwierigen und schwierigen Regierungsbildung ist nun erstmal Stillstand angesagt – zumindest was die Mittel angeht. Der Sport muss sich gedulden und abwarten, wer sein künftiger politischer Partner sein wird. Auseinandersetzungen zwischen Bundesinnenministerium (BMI) und Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) vor allem um die Finanzierung der Reform werden – egal wie der/ die MinisterIn nun heißen wird, nicht ausbleiben. Abwarten wollen und können viele nicht. In einer Reihe von Landessportbünden ist man schon seit geraumer Zeit – nicht erst seit den Wahlen oder den nationalen Reform-Umsetzungsversuchen – dabei, nach regionalen Lösungen zu suchen.
Wer mit Frank Schlizio über (Spitzen-) Sport redet, der erkennt schnell, dass er einen wirklichen Fachmann vor sich hat. Und vor allem einen Realisten. So sind Gespräche mit dem Abteilungsleiter Leistungssport des Landessportbundes Berlin nicht nur bereichernd, sondern sehr lehrreich. Das gilt natürlich auch bei Unterhaltungen über die Spitzensportreform und deren Umsetzung, die nun seit fast drei Jahren intensiv die deutschen Sportorganisationen, seine FunktionärInnen sowie die Politik, sprich Bundesinnenministerium, Länder und deren Protagonisten, beschäftigt. Und Menschen wie Frank Schlizio und seine KollegInnen, die im operativen Geschäft das umsetzen sollen oder müssen, was die politisch Handelnden manchmal so verzapfen.
Nun wird also seit geraumer Zeit darüber gestritten, wie man am besten den deutschen Spitzensport wieder an die Weltspitze führen kann. „Es ist ja nichts Neues, wenn ich sage, dass sich alle Beteiligten und Betroffenen einig sind und waren, dass im deutschen Spitzensport etwas passieren muss, will man sich wieder unter den Weltbesten finden“, sagt Schlizio. „Und deshalb unterstützen wir das nationale Reformkonzept auch.“ Aber..!?
Eigene Vorstellungen
Aber nicht vorbehaltlos. Denn nicht nur Schlizio, der in verschiedenen Systemen den Sport als Athlet, Trainer, Funktionär und nun an hauptamtlicher Stelle als gebürtiger Ostdeutscher und heute als gelernter Gesamtdeutscher aus dem Effeff kennt, setzt kritisch an der Art der Umsetzung und Inhalten des Konzepts an, das BMI und DOSB gemeinsam erarbeitet haben. Und die Konstrukteure, die immer hervorheben, dass es eine „gemeinsame“ Reform ist, sind sich in vielen Dingen nicht mehr über das Wie, Wer und Wann einig. Auch Fach – und Landesverbände haben ihre eigenen Vorstellungen. Es wird hauptsächlich gestritten und dilettiert bei der Umsetzung. Es geht, so haben Außenstehende nach wie vor den Eindruck, nur darum, wer bestimmt, was im Spitzensport zu passieren hat – und das möglichst schnell. Und mit möglichst viel Geld.
Diejenigen, die vor Ort das Geschäft erledigen müssen, haben das Ganze in den letzen Monaten oft nur noch kopfschüttelnd betrachtet. „Es ist ja nicht so, dass dieser Abwärtstrend des deutschen Sports über Nacht gekommen ist. Das war schon lange zu beobachten, eine schleichende Entwicklung“, sagt Schlizio. Man habe zwar erkannt, dass man immer mehr hinterherhinke, aber offensichtlich nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Denn nach olympischen Pleiten kamen immer gute Vorsätze, neue Trainingskonzepte. Und nach der nächsten Pleite das Déjà-vu.
Nun hat man also ein Gesamtkonzept, das als „Grundlage für einen Neuanfang sicher hilfreich ist“. Davon ist Schlizio überzeugt. Aber nicht von der „Eile und der einengenden Zeitschiene. Man kann nicht von jetzt auf gleich alles umkrempeln und dann erwarten, dass man auf Knopfdruck mehr Medaillen produziert.“
Prüfstand
Alles umkrempeln? Warum eigentlich? So gehen eine Reihe von Landesverbände zwar mit den Reformanstrengungen des DOSB in dieselbe Richtung, aber nicht unbedingt denselben Weg. Nicht nur in Berlin, sondern in Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder jüngst Sachsen-Anhalt gibt es viele Einheiten, die bei der nationalen Reform auf dem Prüfstand stehen und umgemodelt werden sollen, obwohl sie in den Landesverbänden ausgezeichnet, manchmal etwas anders laufen. „Warum soll man Erfolgsmodelle und Module zerschlagen, die funktionieren?“, fragt deshalb nicht nur Schlizio. Und man müsse regionale Besonderheiten, Bedingungen und vielleicht auch Eigenheiten in dem Gesamtkonstrukt Spitzensportreform berücksichtigen.
Die Berliner haben zusammen mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport und dem Olympiastützpunkt ein „Berliner Leistungssportkonzept 2024“ erarbeitet, das auf dem Grundsatzpapier „Sport in Berlin – Perspektiven der Sportmetropole 2024“ basiert.
Verzahnung
Schwerpunkt des Konzepts ist die bessere Verzahnung der Strukturebenen zwischen Olympia-, Bundes- und Landesstützpunkten, Eliteschulen, Fachverbänden und Vereinen. Und auch die paralympischen Einrichtungen sind gleichrangig einbezogen.
„Diese Verzahnung soll eine bessere Sichtung und Förderung von Talenten ermöglichen“, sagt Schlizio. Berlin ist gerade bei der Nachwuchsarbeit so etwas wie der Wegweiser für die Republik.
Auch dem TrainerInnenbereich haben die Hauptstädter eine Schlüsselposition zugedacht. „Wir wollen die Besten bei uns behalten“, betont Schlizio. In Berlin hat man schon seit langem ein eigenes, transparentes Finanzierungskonzept erarbeitet, „um wenigstens mit den Mitteln, die wir haben, die Arbeit der TrainerInnen anzuerkennen, so gut es geht“.
Die Duale Karriere – Ausbildung/Studium und Sport der AthletInnen – ist ebenso ein Dauerthema, um das man sich in der Hauptstadt intensiv kümmert. Dabei geht es nicht nur um mehr Geld, „sondern wir sind auf der Suche nach kreativen Lösungen, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein sollen“, sagt Schlizio.
Kompromisse und Lösungen
Mit dem eigenen Leistungssportkonzept wollen die Berliner Verantwortlichen mit dem „kenntnisreichen Blick“ auf die eigene Arbeitsebene reagieren. Und man scheint da – wie auch in manch anderen Landessportbünden – gut unterwegs zu sein. Denn: Es gibt kein Tabuthema. Man redet über Fehlentwicklungen genauso offen wie über erfolgreiche Dinge. „Das gefällt nicht immer jedem. Und man muss auch Kompromisse schließen, aber man findet fast immer gemeinsam eine Lösung.“ Das ist vielleicht der Unterschied zur Arbeit am Gesamtreform-Kunstwerk auf Bundesebene: Man redet miteinander, ist an einem Ziel interessiert. Und will nicht Pfründe sichern oder Machtgelüste irgendwelcher Akteure befriedigen.„Wir klammern uns nicht daran, etwas hier in Berlin halten oder haben zu wollen, wenn wir sehen, dass es sich anderswo besser entwickeln kann“, sagt Schlizio. Die Berliner, wie die meisten anderen Landesverbände, wollen schnellstmöglich für ihre AthletInnen und TrainerInnen den bestmöglichen Service für optimale Vorbereitung schaffen.
Übrigens hatten die Berliner ihr eigenes Konzept schon begonnen, als die Bundes-Reform noch gar nicht in Schwung gekommen war, aber die ersten Turbulenzen sich bereits abzeichneten. „Wir hatten Handlungsbedarf und haben uns drangesetzt, was wir ändern und verbessern müssen. Die Probleme kann man ja nicht aussitzen“, sagt Schlizio. Oder doch? „Man kann Probleme aussitzen – die vermehren sich aber dann, aber über Kettenreaktionen brauch‘ ich Ihnen nichts zu erzählen“.
Unternehmen Spitzensport?
Wenn nun die Landessportverbände, aber auch manche Fachverbände zusätzlich eigene Ideen umsetzen, was heißt das dann für die DOSB/BMI-Reform insgesamt? Während Kritiker fürchten, am Ende bleibe vieles wie gehabt, weil man erkennen müsse, dass man im föderalen System „nicht von oben nach unten durchregieren könne“, finden Sportwissenschaftler „spannend, was da gerade passiert.“ Es sei nicht zu übersehen, dass man sich beim DOSB auf „unternehmerischen Pfaden“ befinde. Da hätten einige das Lehrbuch zum Thema Management genau gelesen. Vermutlich hat DOSB-Präsident Alfons Hörmann, der sich ja als Wirtschaftslenker sieht, seine Strategieanleitungen für diverse Reformprozesse just aus seiner „Fibel für Manager“, was zum Beispiel auch an dem neuen Papier zum Leitbild ganz deutlich wird. Damit will der Dachverband anscheinend Professionalität demonstrieren. Andere Sportbeobachter sehen die Entwicklung nicht so locker.
Gefährlicher Kurs?
Während der DOSB ja gerne auf seine weltweite Einzigartigkeit mit seiner Vereins- und Verbandslandschaft verweist und sich in Sonntagsreden als größte Mitgliedsorganisation der Republik feiert, haben die Verantwortlichen anderes im Blick. Der Kurs, den man derzeit steuere, sei aus mehreren Gründen riskant, sagen Kritiker und professionelle Sportbegleiter: Er könnte mittelfristig nicht nur eine Spaltung des organisierten Sports zur Folge haben. Denn man sei auf dem Weg, die Non-profit-Organisation DOSB zu zerlegen – in eine Art Profiunternehmen (Spitzensport) mit Amateurabteilung (Breitensport) und sonstiges. Ob man diesen Weg noch mit Steuergeld finanzieren kann – und darf, sei fraglich. Und vielleicht politisch langfristig nicht mehr durchsetzbar. Nicht zuletzt angesichts der internationalen Entwicklung. Aber bisher hat sich national der Deutsche Fußballbund (DFB) trotz Sommermärchen-Vorwürfen und anderer Skandale immer aus der Affäre manövriert. Und auch international haben die Macher im Olympischen Komitee, der FIFA und dem Internationalen Leichtathletikverband zwar Image und Prestige verloren, nicht aber die Gunst von Politik und zweifelhaften Geldgebern.
Zu pessimistisch
Das sei alles zu pessimistisch, sagen Sportvertreter, denen die Phantasie fehlt, sich vorzustellen, dass es in Zukunft gut dotierte „Leichathletik- oder Schwimmställe“ à la Radsport geben könnte, wo man sich zunächst erst einmal nationale Teams zusammenstellen könnte.
Absurd? Wenn man etwas darüber nachdenkt, doch nicht ganz… Sponsoren, die Profi-Sportler einkaufen, bezahlen und sie finanziell für das Leben nach dem Sport gut absichern – ohne staatliche Einmischung. Und natürlich dann auch ohne Steuer-Geld. Ideal für manchen Funktionär, der keinen Fach- oder Dachverband, sondern lieber ein Sportunternehmen präsentieren möchte….. und sich politische Einmischung ohnehin verbietet.
Zurück zu den Berlinern. Die sind sachorientiert unterwegs. Was heißt eigentlich Konzept 2024? Das sei so etwas wie ein Etappenziel, auf das man hinarbeite. Aber keine Deadline. „Spitzensport ist ein kontinuierlicher Prozess, mit manchmal ziemlich überraschenden Entwicklungen und Herausforderungen“, sagt Frank Schlizio. Der ehemalige Gewichtheber freut sich schon auf die nächste. Ihm ist keine zu schwer. Und er kann ziemlich gut erklären, wie man diese Herausforderung sach- und fachgerecht meistert, ohne sich zu überheben.