Keine nachvollziehbaren Konsequenzen

Zwei Wertewelten treffen bei der Anhörung im Sportausschuss aufeinander

Berlin, 26. April. Der Sportausschuss im Deutschen Bundestag hatte mal wieder zu einer öffentlichen Anhörung geladen. Staatsdoping in Russland – Thema: „Konsequenzen aus dem McLaren-Report.“ Eingeladen war auch der Berichtverfasser, der unabhängige Ermittler und Jurist Richard McLaren aus Kanada.

Viel Neues gab es nicht. Und die meisten Fragen der Parlamentarier waren nun nicht so investigativ, dass sie dem Generaldirektor des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Christophe de Kepper oder dem Europadirektor der Weltantidopingagentur (WADA) Benjamin Cohen den Schweiß auf die Stirn getrieben hätten.

Das Spannendste an dieser Anhörung war, Richard McLaren zu beobachten. Ruhig, konzentriert und unaufgeregt gibt der Jura-Professor sein Statement. Aber die Gelassenheit täuscht. Er ist mehr als unzufrieden, wie das nun mit den Klärungs- und Aufräumarbeiten in Sachen Doping läuft, und fordert Konsequenzen. „Es herrscht ein Mangel an Entschlossenheit“, sagt der Kanadier im Gespräch, und er fragt sich, „ob es überhaupt den Willen zu Reformen gibt“. Er hört angeregt zu, als IOC-Generaldirektor de Kepper seine Antworten gibt, etwa warum das IOC in Rio nicht die gesamte russische Mannschaft gesperrt hat. Oder wie die Begründung wiederholt wird, warum die Whistleblowerin Julia Stepanowa nicht starten durfte oder…

In der dreistündigen Anhörung steigert sich McLarens Mitschreiben heftig, die Miene wechselt von erstaunt zu ungläubig und mürrisch, auch als Cohen über Konsequenzen und ein Whistleblower-Programm referiert.Und man fragt sich, ob es die Antworten des neben ihm sitzenden de Kepper und anderer in der Runde sind oder der Kaffee, der McLarens Gesichtsfarbe zwischendurch dunkelrot verfärben lässt.

Zwei Welten

Es sind zwei Welten, die aufeinander treffen: da der standfeste Intellektuelle und unabhängige Jurist, der Fakten und Beweise gesammelt hat, der mit den Berichten belegen konnte, dass von 2011 bis 2015 in Russland ein Betrugssystem herrschte, in das über 1000 SportlerInnen involviert waren.

Dort ein smarter, Wort und Sinn jonglierender und managender IOC-Generaldirektor, der von dem „schockierenden Angriff auf die Integrität des Sports und der Olympischen Spiele“ spricht, wie im McLaren-Bericht nachzulesen ist. Und gleichzeitig erklären muss, warum das IOC in der Folge mit seinen Reaktionen und Aktionen so viel Kritik und Widerspruch weltweit hervorrief, wenn doch alles so klar paragraphengemäß vor und während der Spiele in Rio gelaufen ist.

Etwa in Bezug auf den Ausschluss der Russen von den Spielen: Da wälzte das IOC die Verantwortung auf die internationalen Verbände ab. Journalist Hajo Seppelt, der als Experte geladen war, wiederholte auch vor dem Ausschuss, dass „es unmöglich für die Verbände und die dreiköpfige IOC-Kommission gewesen ist, sich unter Zeitdruck durch die Unterlagen zu kämpfen, und dann auch noch die richtige Entscheidung zu treffen. Das hatte Theatercharakter“, sagt er.

Zwei Welten, von zwei Männern verkörpert: Der eine, der Werte formuliert und auf eine Rückkehr zu einer besseren Sportwelt setzt, der andere, der Werte in einer leistungsgestylten, ökonomisierten und medial inszenierten Eventwelt zumindest als noch vorhanden kommunizieren muss.

Konsequenzen

Es ist viel von Konsequenzen und Maßnahmen die Rede. “Wir nehmen die Dopingbekämpfung sehr ernst” sagt der IOC-Generaldirektor. Aber de Kepper bleibt etwa bei dem Thema vage, ob die Russen bei den Winterspielen in Pyeongchang dabei sein werden. „Zur Zeit“, sagt der Belgier, „arbeiten zwei IOC-Kommissionen auf der Grundlage des McLaren-Berichts. Die vorliegenden Beweise müssen gerichtsfest sein. Wir müssen warten, was die Schlussfolgerung ist. Nur auf dieser Basis können Sanktionen erfolgen.“ Für diese Aussage erntet er nicht nur von McLaren einen fragenden Blick. Ob er für einen Ausschluss der Russen sei, wurde McLaren vor der Anhörung gefragt. Seine Antwort: „Nehmen Sie die Fakten und entscheiden auf diesen nach Ihren Regeln.“

Hörmann irritiert

Irritierend ist die Aussage von Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der nun vom IOC fordert, nicht wieder die Verantwortung zu delegieren, sondern grundlegende Entscheidungen zu treffen, „sollten die Beweise stimmen“. Was braucht er noch mehr an Fakten? Lange hat es gedauert, bis sich Hörmann von der IOC-Haltung distanzierte. Vor den Spielen schickte er noch am 3. August 2016 einen Brief an seine Mitgliedsverbände, um die Nibelungentreue zum IOC und seiner umstrittenen Entscheidung zu bekunden. Erst bei der Mitgliederversammlung in Magdeburg im Dezember 2016 leitete er die Kehrtwende ein. „Für uns war es unvorstellbar, in welcher Mannschaftsstärke Russland in Rio angetreten ist“, so Hörmann heute. Nun fordert er phrasenhaft: „Pyeongchang darf nicht ein zweites Rio werden.“

Gotzmann ist deutlich

Da gibt es dann zum Glück noch Andrea Gotzmann, die Vorstandsvorsitzende der Nationalen Antidopingkommission (NADA), die im Laufe der Jahre mit ihrem Amt und ihren Aufgaben auch zu einer moralischen Instanz geworden ist. Klar und deutlich formuliert sie, was Sache ist. Sie bedankt sich bei McLaren „der gegen größte Widerstände diese Aufgabe mit Akribie, Durchhaltevermögen und hoher Fachkompetenz gemeistert hat.“ Die Frau weiß, wovon sie redet. Auch sie kennt Hürden und Hindernisse und hat erlebt, wie Ausbremsversuche den Elan ganz schnell zunichte machen können. „Mindestens seit 2010 wird im russischen Sport manipuliert und gegen international vereinbarte Regeln verstoßen“, sagt sie. Und: „Die Einhaltung dieser Regeln ist essentiell für die Werte des Sports und letztendlich dessen Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen der sauberen AthletInnen in das System und in die Anti-Doping-Institutionen ist erschüttert. Dies nicht alleine durch die Faktenlage, dass dieses Betrugssystem im russischen Sport existiert, sondern der Tatsache geschuldet, dass keinerlei nachvollziehbare Konsequenzen daraus gezogen werden“.

Nicht nur „die sauberen Athleten und Athletinnen sind die Verlierer“, fährt Gotzmann fort. Ihnen helfe die Diskussion um Einzelfallgerechtigkeit überhaupt nicht. Denn „sie werden keine Gerechtigkeit mehr erfahren. Das betrifft leider eine ganze Athleten Generation“.

Sie fordert, dass der Sport die nationalen Anti-Doping-Organisationen, die sich 365 Tage im Jahr rund um die Uhr professionell mit der Problematik beschäftigen und ein enormes Know-how in den letzten 15 Jahren aufgebaut haben, als Gesprächspartner ernst nimmt.

Nicht per Dekret

Die Fakten lägen dank McLaren auf dem Tisch, aber „ein Bewusstseinswandel von der Betrüger-Mentalität hin zum sauberen Sport kann nicht per Dekret über Nacht erreicht werden. Es fängt aber mit dem Eingeständnis an, dass ein Dopingproblem überhaupt existiert.“  Dass es ein Problem gebe, so sagt der IOC-Vertreter, gebe der russische Staat mittlerweile zu. Das sehen Gotzmann und Seppelt allerdings skeptisch: Einen Bewusstseinswandel könne man nicht feststellen.

Das nahezu wöchentliche Doping-Bulletin gehört nun fast zum Standard der Berichterstattung – und es macht deutlich, dass nicht nur in Russland mit dem Griff in die pharmazeutische Trickkiste Leistungen gezaubert werden, die, wenn man erwischt wird, zum Beispiel mit „verunreinigtem Fleisch“ erklärt werden. Die Zahnpasta lässt grüßen! Bisher ist man auch mit solchen Ausreden eine Weile durchgekommen.

Was also tun, außer präventiv mit Nachwuchssportlern und Athleten arbeiten? „Die WADA stärken“, sagen alle. „Die WADA muss im wahrsten Sinne des Wortes die Doping-Polizei sein“, sagt Seppelt. Das funktioniere aber nur mit einem ausreichenden Budget , sagt Cohen, der dann auch gleich noch den Verdacht zurückweist, dass es Versuche von außen gebe, auf die Arbeit der WADA Einfluß zu nehmen. Es gebe keinen Druck, Dinge zu verschleiern.

Seppelt spricht von einer Mogelpackung, wenn das IOC sage, es wolle die WADA stärken.Wäre das ernst gemeint, dann müssten  die Befugnisse der WADA so erweitert werden, dass sie nicht nur die Regeln überwacht, sondern auch die Sanktionen beschließen und durchsetzen darf.

Der Grüne Abgeordnete Özcan Mutlu fragt de Kopper, was er denn McLaren antwortet, der daran zweifelt, ob überhaupt beim IOC ein Reformwille vorhanden sei. Das sei doch eine Ohrfeige. De Kepper widerspricht. Er zählt noch einmal auf, was alles getan wird. Etwa die Maßnahmen gegenüber den russischen Sportlern, die 2014 in Sotschi am Start waren: Doping- und Urinproben würden nun erneut untersucht.

Ohne Russen

Was die Russen nun zu alledem sagen? Die Parlamentarier hätten es gerne gewusst. Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) berichtet, man habe sich parteiübergreifend bemüht, russische Gesprächspartner zu finden: Unter anderen hatte man den NOK-Präsidenten Russlands, Alexander Schukow und den Botschafter in Deutschland, Wladimir Grinin, eingeladen. Auch bei der Präsidentin der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada, der ehemaligen Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa habe man angefragt, aber eine Antwort blieb aus. Die Botschaft, so Freitag, habe aber einen Mitarbeiter als Zuhörer geschickt.

Richard McLaren wird gefragt, ob 2016 ein Wendepunkt für den Sport gewesen sei? „Das wird man erst in einigen Jahren beurteilen können“, sagt der Kanadier, der seine Hoffnung auf die SportlerInnen setzt, die sich jetzt in der Verantwortung für ihren Sport sehen. Abhanden gekommen scheint ihm dagegen das Vertrauen in die Funktionärswelt, eine tiefgreifende Umwälzung des Sports zum Positiven endlich anzugehen.