Hessens LSB-Hauptgeschäftsführer Andreas Klages und eine Lageanalyse
Berlin/Frankfurt 29. Juli. Manchen im deutschen Sport, ob Verband oder Verein, beschäftigt derzeit die Frage: Wie geht`s denn nun weiter? Welche Inhalte stehen ganz vorne auf der To-Do-Liste, und wie sieht es mit der Finanzierung aus? Darüber unterhielt sich sportspitze mit dem Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Hessen, Andreas Klages. Der studierte Politik-, Rechts- und Medienwissenschaftler kennt so gut wie wenige den deutschen Sport, seine Strukturen und Besonderheiten.
Der heute 56-jährige Familienvater lernte den Sport als aktiver Ballsportler, als Vereins- und heute alsVereinsvorstandsmitglied kennen, sammelte fünf Jahre Erfahrungen als Geschäftsführer eines Spitzensportverbandes, und war 17 Jahre Abteilungsleiter beim Deutschen bzw. Deutschen Olympischen Sportbund, wo er 2018 zum LSB Hessen wechselte. Klages ist nicht nur ein hervorragender Analytiker des deutschen Sports, sondern gilt auch als Vordenker und pragmatischer Problemlöser.
Herr Klages, hört man sich im deutschen organisierten Sport um, so erkennt man eine gewisse Unruhe und Unsicherheit. Niemand, so jedenfalls ist den Gesprächen zu entnehmen, weiß so richtig, wie es denn nun weitergeht. Mit dem neuen Staatsministerium für Sport und Ehrenamt haben ja viele im Sport große Veränderungen – am besten sofort – erwartet. Nun ist Ministerin Christiane Schenderlein noch keine 100 Tage im Amt, die Republik ist in Sommerferien, aber die Ungeduld ist da und wächst. Ist dieser Eindruck richtig? Wie sehen Sie die Lage?
Klages: Nun, ich bin ja Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Hessen. Den organisierten Sport zwischen Bensheim und Bad Karlshafen nehme ich nicht als „unruhig“ oder „unsicher“ wahr. Selbstverständlich sind auch wir mit den bekannten Herausforderungen des Vereinssports (dies ist meine Hauptperspektive auf den Sport) konfrontiert, z.B. mit dem Sanierungsstau im Bereich der Infrastruktur oder der Daueraufgabe der Ehrenamtsgewinnung. Im meinem „Nahbereich“ sehe ich die hessischen Sportorganisationen jedenfalls in einem „eingeschwungenen“ Zustand, die unaufgeregt ihrem Auftrag nachkommen.
Die allgemeine politische Entwicklung auf Bundesebene, das Ende der Ampel, welches sich schrittweise aufbaute, die Übergangsphase und die Neubildung von Bundestag und Bundesregierung waren auch für die Sportpolitik des Bundes sicher nicht förderlich.
Ich würde markante Impulse einer Sportpolitik nicht nur dann erwarten, wenn man den Sport einem spezifischen Ministerium zuordnet. Wichtig erscheint mir vielmehr, dass sich eine Bundes- oder Landesregierung einem anspruchsvollen sportpolitischen Programm verschreibt, die Hausspitzen sich mit dem „Politikfeld Sport“ identifizieren und sich für den Sport auch bei Finanz- und Kultusministern einsetzen. Schließlich ist eine handlungsfähige Fachabteilung, welche über Fachkompetenz verfügt, von hoher Bedeutung. 80 Tage nach Bildung der Bundesregierung ist es für eine sportpolitische Bilanz zu früh. Ich nehme aktuell positive Signale des Bundes im Hinblick auf die dringend notwendige und seit 2021 (!) geforderte Verbesserung der Finanzierung der Olympiastützpunkte wahr – das ist schon mal ein positives Signal.
Gesprächspartner aus dem Sport kritisieren, dass der DOSB wieder mal eine Chance ungenutzt lässt, eine eigene Strategie mit Schwerpunkten für die nächsten Jahre vorzulegen, wie der Sport aussehen solle, was mit dem politischen Neuanfang ja nicht so verkehrt wäre. Gestaltung und Kreativität im eigenen Feld sowie Probleme angehen, die auf den Sport zukommen werden – etwa Klimawandel und das Überleben von Sportarten – wären zu klären. Aber nun ist erstmal eine Olympiabewerbung mit vier Konzepten und vielen Beteiligten, wo personelle und finanzielle Ressourcen verbraten werden, offensichtlich das Wichtigste, um das sich Spitzenfunktionäre und auch PolitikerInnen kümmern. Was ist daran wegweisend? Und wo ist die Strategie?
Klages: Der DOSB hat ein 12-seitiges Strategiekonzept („DOSB: 2028“), welches Festlegungen enthält, die ich ausdrücklich unterstütze und in der sich der DOSB zu entsprechenden Arbeitsschwerpunkten verpflichtet, z.B. im Hinblick auf eine zeitgemäße bundespolitische Interessenvertretung oder die Positionierung des DOSB als starker Unterstützer seiner Mitgliedsorganisationen. Dies sind für das Gesamtsystem des Sports zentrale Zieldimensionen, und ich wünsche mir eine konsequentere Umsetzung. Dagegen ist die Bilanz bei anderen Themen erfreulicher. So ist z.B. die Präsenz des DOSB in den klima- und umweltpolitischen Handlungsfeldern des Bundes positiv zu bilanzieren. Das DOSB-Strategiekonzept ist in der Theorie durchaus stimmig, aber es braucht in der Praxis mehr wohlwollende und umsetzungsbereite Leserinnen und Leser. Das Konzept wird im Übrigen leider offenkundig vom Thema Olympiabewerbung verdrängt.
Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die Neubesetzung des DOSB-Vorstandsvorsitzes mit dem FDP-Politiker Otto Fricke? Hat Sie diese Personalie überrascht? Oder ist das Politikfähigkeit und Politikverständnis, wie es der DOSB versteht: Ich hole mir einen Politiker, und der richtet es dann?
Klages: Ich kenne den zukünftigen Vorstandsvorsitzenden nicht persönlich. Herr Fricke und ich teilen die Begeisterung für den Baseballsport, eine hochattraktive und interessante Sportart, und wir haben vielleicht sogar Ende der 1980er Jahre gegeneinander gespielt – er für Krefeld, ich für Kassel. Als Dachorganisation aus dem Non-Profit-Bereich sind für den DOSB langfristig wirkende Entwicklungslinien, Dienstleistungen in Richtung Mitglieder in einem breiten Themenspektrum und eine auf Glaubwürdigkeit bauende durchsetzungsfähige politische Kommunikation von hoher Bedeutung. Dies alles erfordert Zeit und kontinuierliches Handeln auf Führungsebene. Vor diesem Hintergrund ist die vom DOSB kommunizierte Dauer des Vertrages mit Herrn Fricke von drei Jahren überraschend. Jetzt warten wir mal ab. Auch Herr Fricke hat das Recht auf die bekannten 100 Tage.
Es wird viel über Geld geredet – insofern ist Fricke als ehemaliger Haushaltsexperte im Bundestag ja keine schlechte Wahl. Aber Geld allein macht noch keinen besseren Sport. Und keine Medaillen, die nach einer Studie vom DOSB und Athleten Deutschland mit dem SINUS-Institut für die Bürger auch gar nicht so wichtig sind.
Aus den vier Milliarden, die die neue Bundesregierung angekündigt hat, ist nun eine Milliarde geworden, von den 100 Milliarden Sondervermögen können die Länder und Kommunen auch Sportstätten und Schwimmbäder mitsanieren. Explizit ist das im Gesetzentwurf aber nicht zu lesen. Was erwarten Sie? Auf der Prioritätenliste der Kommunen werden ja andere Projekte erstmal ganz vorne stehen.
Klages: Ich habe sehr begrüßt, dass der DOSB im Zusammenhang mit der vorgezogenen Bundestagswahl (und auch schon davor) eine Bundesförderung für die Sanierung und Modernisierung von Sportstätten gefordert hat. Der bundesweite Sanierungsstau, über 2 Mrd. Euro allein in Hessen, ist ohne Bundesmittel nicht auflösbar, und er ist Teil der deutschlandweiten Infrastrukturkrise.
Bundesregierung und Bundestag haben nun nach eigener Aussage eine „Investitionsoffensive für das ganze Land“ beschlossen. Der Bund greift auf 300 Mrd. Euro zurück, 100 Mrd. fließen an die Länder und weitere 100 Mrd. stehen für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) bereit. Soweit die politischen Festlegungen, die ich nachdrücklich unterstütze.
Nun sieht es so aus, dass von diesen Investitionsmitteln nur ein Bruchteil im Sport ankommen könnte. Es bedurfte der Intervention der Länder, die bei den Bund-Länder-Gesprächen im Juni den Sport in „ihrem“ 100-Mrd.-Konzept ausdrücklich verankerten. Ich bin der Hessischen Landesregierung sehr dankbar, die diese Entwicklung nachhaltig unterstützte. Warum das Bundesfinanzministerium nach dieser klaren politischen Festlegung auf Führungsebene den Sport nicht im Grundlagen-Gesetz verankern wollte, sondern den „Förderbereich Sportstätten“ im Kleingedruckten der Gesetzesbegründung versteckte, bleibt sein Geheimnis – oder aber dies steht für die zu geringe Bedeutung, die dem Sport durch den Bund zugewiesen wird.
Was erwarten Sie denn nun?
Klages: Ich erwarte, dass die Landesregierungen und Landtage der Sanierung und Modernisierung der Sportstätten – so wie es sich für Hessen abzeichnet – in den jeweiligen Umsetzungen der Investitionskonzepte des Sondervermögens einen angemessenen Anteil zuweisen. Und ich hoffe, dass der Bund die vielfältigen Potenziale der Sportstätten für einen bürgernahen Klimaschutz, für eine Modernisierung von Sportstätten des Leistungssports in Richtung Weltmaßstab und im Hinblick auf das Verfassungsziel gleichwertiger Lebensverhältnisse positiv bewertet und aus seinem 400-Mrd.-Anteil am Sondervermögen noch etwas nachlegt – es wäre eine Investition in mehr Lebensqualität sowie in die Stärkung der Demokratie – und dann würde es wirklich zu einer „Investitionsoffensive für das ganze Land“, wie es auf der Internetseite der Bundesregierung versprochen wird.
Was einen umtreiben muss, ist, wie muss sich bei knapper Haushaltslage der Sport aufstellen – gerade in Ländern und Kommunen? Sportförderung ist ja im Bund wie in den Ländern nach wie vor eine freiwillige Leistung. Wie sehen Sie die Zukunft des organisierten Sports, wenn man nicht endlich in die Pötte kommt?
Klages: Die öffentlichen Haushalte und damit auch die kommunalen Haushalte sind unter Druck. Die Kommunen sind traditionell die größten Sportförderer in Deutschland. Sie haben als Schulträger durchaus eine gesetzliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich Sportstätten für den Schulsport zur Verfügung zu stellen. Dies schließt im Übrigen Schwimmbäder ein, auch wenn dies häufig in Vergessenheit gerät. Ich verwende den Begriff der „freiwilligen Aufgabe“ nicht – dadurch werden das Politikfeld Sport und die Vereine marginalisiert. Aber ja, Sportförderung ist auf kommunaler Ebene eine weithin nicht-gesetzliche Aufgabe. Aber gerade diese füllt den Anspruch der kommunalen Selbstverwaltung aus, sorgt für Lebensqualität und örtliche Identität. Und vor allem ist Sportförderung, sind Vereins- und Sportstättenförderung immer auch eine Investition in die Stabilität der örtlichen Gemeinschaft und in die demokratische Gesellschaft.
Wir hatten kürzlich in Hessen einen Fall, wo die Kommunalaufsicht einen kommunalen Haushalt mit der Auflage abgelehnt hat, zunächst die Sportförderung zu kürzen. Man musste die Aufsichtsbehörde erst daran erinnern, dass diese Vorgabe rechtlich unzulässig und somit zurückzunehmen ist – haushalterische Prioritäten fallen ausschließlich in die Kompetenz der kommunalen politischen Entscheidungsträger.
Und damit sind wir beim Kern Ihrer Frage: Die Sportvereine vor Ort und ihre regionalen Zusammenschlüsse müssen sich kommunalpolitisch für den Sport und auch für eine zeitgemäße Förderung von Sport, Sportvereinen und Sportstätten noch stärker einsetzen. Die Kommunalwahl in Hessen 2026 ist hier ein „Anwendungsfeld“. An die Kommunen appelliere ich, nicht am Sport zu sparen und sich dadurch nicht nur als Ausführungsinstrument gesetzlicher Vorgaben zu positionieren. Und natürlich unterstütze ich die Forderungen der kommunalen Verbände nach einer grundsätzlichen Lösung ihrer strukturellen Unterfinanzierung.