Sport im Solidar-Abseits

Appell von DOSB und Mitgliedsverbänden: Forderung nach  mehr Geld vom Bund trotz Haushaltskrise

Berlin, 3.Juli. Ausgerechnet während des Milliarden-Spektakels Fußball-Europameisterschaft, das der deutsche Steuerzahler erheblich mitfinanziert, vollzieht der Rest des organisierten deutschen Sports den Schulterschluss: Mit einem Appell „Spitzenleistungen erfordern Spitzenbedingungen“ wollen die Verfasser offensichtlich den Haushältern des Bundestages, anderen Parlamentariern und der Bundesregierung ins Gewissen reden. Denn der deutsche Sport braucht nach ihrer Meinung mehr Geld. Und das soll aus dem Bundeshaushalt 2025 sprudeln. Trotz Haushaltskrise  und anderen Problemen. Dazu ein Kommentar.

Wo bitte leben die Verantwortlichen des deutschen Sports momentan? Unter einer Glasglocke in ihrer  eigenen Blase?An wem liegt es wohl, dass man kaum etwas richtig auf die Reihe kriegt? Vielleicht an einem selbst, weil man Probleme und Fehlerquellen weder wirklich analysiert, noch neue Ideen inhaltlich so untermauert, das am Ende auch etwas herauskommt?

Großes Lamento

Der Appel ist wieder ein Lamento nach dem Motto: Wir leisten wertvolle Arbeit, wir inspirieren die Gesellschaft, und ihr gemeinen Entscheidungsträger streicht uns das Geld – unser Allheilmittel für alle Probleme. Der Aufruf erinnert an viele ähnliche, in denen der Niedergang des deutschen Sports – etwa nach Corona – prophezeit wurde, wenn nicht die dringend benötigte Finanzspritze von Bund und Ländern genehmigt werde. Die natürlich auch prompt verabreicht wurde – das Genöle zeigte bei der Politik Wirkung –, denn wer will es sich mit dieser Mitgliederorganisation verderben.

Da werden dann auch Behauptungen aufgestellt wie: „Die Finanzierungssituation ist im Weltmaßstab jetzt schon grenzwertig. Daher schränken schon geringe Einsparungen in jeglichen Institutionen unsere Servicequalität massiv ein, gefährden Arbeitsplätze und damit den kurz- und langfristigen Leistungsaufbau bei den Athlet*innen mit negativen Auswirkungen auf ihre internationale Konkurrenzfähigkeit“ Wo ist der Beleg dafür? Immer mehr Geld wurde bisher reingepumpt. Die Erfolge blieben aus. Am Geld kann es also nicht liegen.

Vor Paris ist nach Paris

Dann vielleicht an der mittelalterlichen Organisationsstruktur, wo die Mittel nicht nur parallel, sondern auch oft falsch eingesetzt werden und dann an anderer Stelle fehlen? Übrigens: Der Zeitpunkt, diesen Appell zu verfassen, hat schon Tradition und trifft diesmal zufällig mit den Haushaltsverhandlungen zusammen. Denn immer vor Olympischen Spielen baut der DOSB vor, den Grund für die nicht eingetroffenen Medaillen- und Platzierungsprognosen vorab zu entschuldigen: Das liegt dann natürlich an der nicht ausreichenden Spitzensportförderung.

Phrasen, Behauptungen und Versuchsreihen sind keine guten Argumente, um zu erklären, wofür man die rund eine Milliarde Euro, die der Bund für den insgesamt breitgefächerten Sport jährlich zur Verfügung stellt, ausgibt. 282 Millionen davon stehen im „Kernetat Sport“, den das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) finanziert. Auch die Nationale Antidopingagentur (NADA) oder FES und IAT werden vom Bund finanziert. Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll sind mit knapp 100 Millionen Sportförderung dabei. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe wird mit 20,2 Millionen unterstützt. Und dann fördern ja auch noch die Länder mit einem geschätzten Gesamtvolumen von über einer Milliarde den organisierten Sport. Mit all dem kommt er nicht aus. Und nun will er einen weiteren Aufschlag von 82 Millionen für 2025.

Bis heute gibt es keine wirkliche Übersicht, die schon 2014 vom BMI und dem damaligen Sportabteilungsleiter Gerhard Böhm gefordert wurde, wer sich im deutschen Spitzensport alles so tummelt, wer wie von wem bezahlt wird. Man möchte gar nicht wieder über Olympiastützpunkte, Bundesstützpunkte oder Kaderzahlen sinnieren – der Frust hört nicht auf, beschäftigt man sich intensiv mit dem Thema.
Ausgerechnet jetzt, wo es Haushältern samt Kabinett die Schweißperlen auf die Stirn treibt, weil sie Geld zusammenkratzen müssen, um Etatlöcher zu stopfen, kommt der Sport in seiner Selbstherrlichkeit und fordert, dass der Kelch der Kürzung an ihm vorüber gehen soll. Viele andere soziale oder kulturelle Organisationen und Einrichtungen, bei denen der Bundes- und Länder-Rotstift bereits angesetzt wurde – etwa Kinder- und Jugendprojekte ­– haben sicher viel Verständnis, wenn sie hören, dass der Sport noch mal einen kräftigen zweistelligen Millionen-Aufschlag haben möchte.

Er hat in den letzten Jahren immer mehr Geld bekommen, sein Haushalt hat sich mehr als verdoppelt. Er hat aber weder seine Aufgaben erledigt noch die prognostizierten Leistungen gebracht. Die Reform ist immer noch Stückwerk, der Sport-Entwicklungsplan kommt nicht voran, die Olympiabewerbung ist eine einzige lustlose Nicht-Performance, sportpolitische, gesamtgesellschaftlich relevante Positionen – außer dem Engagement für Menschenrechte – sind nicht vorhanden.

Freiwillige Leistung

Vielleicht sollten sich DOSB&Co. mal wieder in Erinnerung rufen, dass Sportförderung noch immer eine freiwillige Leistung des Bundes ist – kein Muss, sondern ein sozusagen nationales Hobby, das sich eines der (bisher) reichsten Industrieländer der Welt leistete und leisten konnte.

Der DOSB hat sein Geschäftsmodell in letzter Zeit – oft nicht zuletzt dank Schwarzmalerei – immer wieder durchgesetzt. Und der neueste Versuch ist ja nichts anders.

Oder man startet einen weiteren Ballon: Kommt man nicht weiter, sucht man sich neue Verbündete und gräbt alte Ideen aus, die man allerdings vorher eher mäßig bis Igitt fand. DOSB-Vorstandsvorsitzender Torsten Burmester erwärmt sich nun in einem Interview in der Zeitung „Politik&Kultur“ zusammen mit dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, für ein Ministerium für Sport und Kultur. „Die Krisen der vergangenen Jahre und der Umgang mit ihnen zeigen: Es ist dringend notwendig, dass der Sport am Kabinettstisch sitzt und durch ein eigenes Ministerium vertreten wird“, sagt Burmester. Da würde nun mancher, der mit Sportvertretern so seine Erfahrungen gemacht hat, sagen: Das fehlte grade noch … nicht mit den FunktionärInnen. Und: Was bitte bleibt dann für die Führungsgilde und den DOSB als Aufgabenfeld, wenn ein Ministerium übernimmt? Diese Frage stellt sich doch schon beim Sportfördergesetz und der geplanten Spitzensport-AG, das mittlerweile Experten als Abstellgleis für den DOSB bezeichnen, weil sich der Sport da selbst aus dem Spiel nehme.

Unergründlich

Wie gesagt: Wege, Strategie und Ziele des DOSB sind unergründlich und vor allem nicht erkennbar. Außer, dass es darum geht, Macht und Einfluss zu behalten. Inhaltlich passiert nämlich so gut wie gar nichts, immer wieder werden alte Leitlinien, Struktur- oder Reformpapiere herausgekramt, mit alten Modulen ergänzt, die textlich neu gestaltet sind. Eine weitere Mogelpackung ist kreiert – that is it! Vermutlich wird das nach den Spielen in Paris nicht anders sein.

Man möchte fast verzweifeln, weil man nicht erkennt, was dieser DOSB und seine Verbände eigentlich wollen: Wo will der Sport hin, was soll seine gesellschaftliche Rolle sein? Der folgenlose Aktionismus und eine Kampagnen- Strategie ohne Inhalt führen immer wieder zu diesen Fragen, die man in einer Endlosschleife abspielt.

Unglaubwürdig mal wieder

Dieser neuerliche Appell ist außerdem ein weiteres Beispiel, dass der DOSB sich und seine Rolle in der deutschen Gesellschaft in einer mittlerweile unerträglichen Art überschätzt. Der Sport hat viele Konkurrenten bekommen – e-Sport  zum Beispiel –, die ihn, neben Klima und sozialen Themen, vor große Herausforderungen stellen. Die sind aber nicht mit weiteren und unangemessenen Geldforderungen zu lösen. Damit macht sich der DOSB angreifbar, unbeliebt und vor allem mal wieder unglaubwürdig. Wer ständig Solidarität, Miteinander und Fair play einfordert, sich selbst aber wie ein Raffzahn und Nimmersatt verhält, gerade in Zeiten, wo andere den Gürtel ganz eng schnallen müssen und andere Probleme weitaus dringender sind als die des deutschen Sports und seines Dachverbands, der katapultiert sich ins Abseits der Solidargemeinschaft.

Und wenn das zuständige Ministerium sowie die Parlamentarier nun wieder bei ihrem Hätschelkind Sport nachsichtiger sind als bei anderen gesellschaftlichen Gruppierungen und einknicken, dann muss man schon fragen, wem sie sich verpflichtet fühlen: den Interessen der Bürger und Bürgerinnen oder den Lobbyisten, denen sie nach wie vor sauer verdientes Geld für einen elitären Spitzensport großzügig zukommen lassen.

Bundesministerin Nancy Faeser scheint sich ihre Freude an der Teilnahme von sportlichen Großereignissen mit Armbinde oder im Nationaltrikot auch im kommenden Jahr etwas kosten lassen zu wollen: 82 Millionen Euro – das sind rund 25 Prozent mehr – will sie von Bundesfinanzminister Christian Lindner für den Sport haben- das wären dann 382 Millionen für 2025.

Die Stimmung zwischen BMI und DOSB sei angeblich nach wie vor sehr gut, heißt es. Die Informationen über die jeweiligen Baustellen würden „positiv launig“, aber eher nicht sehr ins Detail gehend an die Sportgemeinde „rübergebracht“. Warum wohl? Vielleicht lässt sich ein sportpolitisches Waterloo nur noch mit Galgenhumor ertragen.