Impfen für Olympia ohne Wert

Positive Signale aus dem BMI / Nur noch eine Absage der Spiele kann die Tokio-Reise verhindern

Berlin. 16.April. Während die Bundesregierung ein verschärftes Infektionsschutzgesetz auf den Weg bringen will, das die Grundrechte noch weiter einschränkt, während die Infektionszahlen steigen und Impfstoff fehlt, wirbt der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, in den letzten Tagen verstärkt für eine Impfung der SpitzensportlerInnen, die zu den Olympischen Spielen nach Tokio fahren wollen. Er hoffe, dass die Olympioniken „zügig in die Impfreihenfolge eingeordnet werden“, sagte er u.a. dem Nachrichtensender n-tv.

Wenn SportlerInnen nach der von Hörmann genannten, derzeit geltenden Impfreihenfolge ihre Dosis bekämen, wären die Spiele vermutlich schon im Gange oder vorbei. Also was will der Präsident mit seiner Promotiontour bezwecken? Eigentlich hat er es nicht mehr nötig – wen überrascht es –, den Geldgeber Bund und das von seinem CSU-Parteifreund Horst Seehofer geführte zuständige Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zu überzeugen: Auch in Sachen Impfen wird dem Spitzensport wohl mal wieder eine Sonderbehandlung zu teil. Die medialen Auftritte des Lobbyisten Hörmann sind dann wohl eher Show für die Öffentlichkeit, die schonend darauf vorbereitet wird, dass sich der Sport zwar nicht vordrängelt, aber doch nicht Gleicher unter Gleichen ist, weil…?

Positive Signale

Auf die Frage, wie das CSU-geführte Ministerium zur Änderung der Impfprioritätenliste zugunsten der AthletInnen und nach einer Begründung dafür, wie man grundsätzlich zur Entsendung eines Teams stehe, antworte eine Ministeriumssprecherin: „Das BMI steht einer Entsendung von Athletinnen und Athleten zu den Olympischen Spielen in Tokio positiv gegenüber. Die Gastgeber, das IOC, der DOSB und die teilnehmenden Nationen werden alles tun, um das Risiko einer Ansteckung vor Ort zu minimieren. Das BMI befürwortet aus Respekt vor dem Gastgeberland und den Athletinnen und Athleten anderer Nationen, nicht zuletzt auch als Fürsorge für die deutschen Repräsentanten, eine Impfung der Athletinnen und Athleten, die Deutschland bei den Olympischen Spielen und paralympischen Spielen repräsentieren. Das BMI steht dazu mit allen Beteiligten in Kontakt.“

Dreimal klingeln

Das heißt: Vermutlich zeitnah werden nun sicher die potentiellen Olympioniken ihre Spritze bekommen. Wenn es dreimal an der Haustür klingelt, ist das diesmal nicht der Dopingkontrolleur, sondern der Postbote mit der Impfeinladung. Die meisten AthletInnen, die bei Bundeswehr oder Bundespolizei im Dienst sind, haben ihre Dosis sowieso schon bekommen. Also keine Aufregung, auch diesmal ist auf die PolitikerInnen, die zu NormalbürgerInnen streng und unerbittlich sind, Verlass, wenn es um ihr Hätschelkind Spitzensport geht.

Alles rund ums Impfen, vor allem eine Aufweichung der Prioritätenliste, scheint nach wie vor ein heißes Eisen zu sein, an dem sich niemand die Finger verbrennen will. Auch manche Sportpolitiker kommen ins verbale Eiern, wenn sie einerseits AthletInnen die Spiele geimpft ermöglichen wollen, anderseits sie aber dann eine Änderung der Impfpriorität ablehnen. Die Reaktion aus dem Bundesgesundheitsministerium spricht Bände. Auf Anfrage im Haus von Jens Spahn kam knapp und wortkarg der Hinweis: „Wenden Sie sich sich bitte an das für Sport zuständige Bundesinnenministerium.“

Long-List

Laut Aussage von Hörmann in einem „Welt“-Interview stehen auf einer Long-List, die dem IOC vorgelegt werden muss, derzeit 1450 AthletInnen und 800 BetreuerInnen. Zu dem Tross kämen dann noch FunktionärInnen, JournalistInnen, technisches Personal etc., die alle eine Impfung brauchen und andere – wenn es bis dahin nicht mehr Impfstoff gibt – auf hintere Plätze in der Impfschlange verdrängen. Ist das vertretbar, vor allem richtig?

Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (SPD) sagt: „Die Verantwortung für die Durchführung der Spiele angesichts einer grassierenden Pandemie liegt beim IOC, für die Entsendung eines Teams beim DOSB. Angesichts der Tatsache, dass in zahlreichen Ländern – und dazu gehört auch Japan – bislang nur marginale Impfquoten zu verzeichnen sind, halte ich ein Zusammentreffen von rund 10 000 AthletInnen sowie einer um ein Vielfaches höheren Anzahl von BetreuerInnen und FunktionärInnen für verantwortungslos.“

Was wäre dann verantwortungsvoll? Eine Absage? Ob die Spiele in Tokio nun wirklich über die Bühne gehen werden, ist bis jetzt nicht klar. Was vor allem verständlicher Weise an den Nerven der SportlerInnen zehrt. Und die Signale aus Japan sind zwiespältig: Die Zahlen steigen kontinuierlich, der medizinische Chefberater der Regierung, Shigru Omu, spricht von der vierten Welle, die über den Inselstaat schwappt, die Impfkampagne geht auch in Japan schleppend voran, die medizinische Ärtzevereinigung Japans befürchtet nicht nur, sich mit den Spielen ein Superspread-Event ins Land zu holen, sondern kritisiert das Fehlen eines „wirklich überzeugenden Hygienekonzepts“.

Gegensteuern

Das japanische Organisationskomitee versucht dagegen tapfer gute Laune zu verbreiten, noch gestützt von (fast) allen Regierungsmitgliedern, unter denen nun aber schon Abweichler auszumachen sind. Die sagen mittlerweile auch öffentlich, dass sie die Spiele unter diesen Bedingungen auf dem Inselstaat nicht mehr für die beste Idee halten. Und 72 Prozent der Bevölkerung im Gastgeberland sind ohnehin für eine Absage oder neuerliche Verschiebung.

Das japanische Organisationskomitee (OK) und das Internationale Olympische Komitee (IOC) wählen Pathos und blumige Worte als Durchhalteparolen. „Die Spiele werden eine Jubelfeier der Widerstandskraft, der Solidarität und unserer gemeinsamen Menschheit und ein Licht der Hoffnung und des Trostes“, verkündete die OK-Chefin Seiko Hashimoto. Der australische IOC-Chefkoordiantor für die Spiele, John Coats, wiederholt immer wieder – gefragt oder ungefragt -, er wisse, dass die japanischen Organisatoren nicht an Absage denken.

So ganz sicher kann er da offensichtlich nicht mehr sein. Natürlich wäre es für die Gastgeber vor allem ein großer wirtschaftlicher Schaden, wenn nun wieder das Aus käme. Aber was wollen die Japaner mit diesen von der Pandemie ausgebremsten Spielen gewinnen? Es kann kein ausgelassenes fröhliches „Fest der Jugend der Welt“ werden. Sie können sich nicht als freundliche, disziplinierte und gute Gastgeber präsentieren. Sie werden daran gemessen, wie sie unter Pandemie-Bedingungen organisierte Risiko-Minimierer sein können. Spaß, Unbeschwertheit und sportlicher Wettbewerb bleiben ganz sicher auf der Strecke. Roboter könnten risikofrei an den Start gehen. Nicht aber Athleten und AthletInnen, die solche Spiele auch nicht verdient haben.Ohne Publikum, ohne echten Beifall, ohne Stimmung.

Um wen geht es eigentlich?

Aber geht es eigentlich noch um die SportlerInnen? Geht es nicht darum, von dem geplanten großen Geschäft Olympia noch zu retten, was zu retten ist? Heide Ecker-Rosendahl, dreifache Medaillengewinnerin von München 1972, sieht es ganz nüchtern: „Das sind keine Olympischen Spiele. Da werden Athleten für ein Schaulaufen für Sponsoren verkauft, um diese bei der Stange zu halten.“ Und weil es für Begegnungen und Gespräche wegen der Einschränkungen keine Möglichkeiten gäbe, würde sie „heute als Sportlerin zuhause bleiben“.

Leicht gesagt, wenn sich nun viele nach der ersten Absage ein Jahr lang immer wieder motiviert und unter erschwerten Bedingungen trainiert haben, um nochmal oder endlich an Olympischen Spielen teilzunehmen. Aber was sind das für Spiele auch unter sportlichen Gesichtspunkten? Gewichtheber-Olympiasieger Matthias Steiner meint, „der sportliche Wert sei genauso wie der der anderen Spiele.“

Ungleich

Das sehen viele Beobachter und Betroffene ganz anders. Denn: Das unterschiedliche Pandemie-Geschehen weltweit sorgt für noch ungleichere Bedingungen als bei „normalen“ Spielen: In ärmeren Ländern kommen zu schlechten Vorbereitungsmöglichkeiten fehlende Hygienekonzepte und Impfstoffe. Insgesamt fallen weiter Dopingkontrollen als Vorbereitungsbedingungen aus. Bisher hat nur Nordkorea abgesagt, aber es könnten andere Nationen folgen. Am Ende sind dann vielleicht nur Industrieländer am Start und AthletInnen, die von Autokraten aus Prestigegründen geschickt werden. Was dem olympischen Gedanken völlig widersprechen würde.

Nun also geht man auch in Deutschland voll ins Risiko. Warum? Nicht nur der DOSB braucht die Olympischen Spiele, die ihm etwa 30 Millionen einbringen werden, sondern auch der Bund. Er buttert jährlich dreistellige Millionenbeträge in den deutschen Spitzensport mit der mittlerweile längst sehr zweifelhaften – und letzten – Begründung, dass SpitzensportlerInnen Repräsentanten der Republik sind. Und mancher greift gerne auf den Begriff aus dem anderen, sozialistischen Deutschland zurück, wo die Staatssportler als Diplomaten im Trainingsanzug für den Arbeiter und Bauernstaat siegreich waren.

Wollt Ihr solche Spiele?

Frage an die AthletInnen: Wollt Ihr euch solche Spiele tatsächlich antun? Sind Medaillen es diesmal wirklich wert, die Gesundheit aufs Spiel zu setzen? Dabei sein, ist in diesem Fall nicht alles, sondern ein unnötiges Risiko.

Frage auch an die EntscheiderInnen in Sport und Politik: Wäre ein Verzicht auf eine Teilnahme in Tokio nicht das richtige Signal an BürgerInnen, die nun über ein Jahr mit ständig neuen Einschränkungen zurecht kommen und deren Leben völlig umgekrempelt wurde – ohne Ausnahmen und Sonderregelungen? Die auch auf eine Impfung warten….

Brot und Spiele war ein gern gepflegtes Mittel von Cäsaren, das Volk zu beruhigen. Funktioniert heute nicht mehr.. Deutschland und der deutsche Spitzensport würden ihrer Rolle als Nation mit sozialem Gewissen und politischer Verantwortung sowie dem richtigen Verständnis von Fair play, olympischen Werten und Teamgeist gerecht, wenn sie diesmal zuhause blieben. Verzicht bedeutet in diesem Fall Fürsorge und Verantwortung nicht nur für die eigenen Leute, sondern für den Rest der Welt mit zu übernehmen.