Kommentar: Olympia nicht unter den Top Ten

DOSB-Vize Ole Bischof, Kollege Hanning vom Handballbund und der olympische Tellerrand

Berlin, 11. August. Ole Bischof war erfolgreicher Judoka bei den Olympischen Spielen in Peking und London. Seit 2014 ist er Vizepräsident Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und in diesem Amt vor allem durch sein nettes Lächeln auf offiziellen Bildern aufgefallen. Nun hat er aber für seine Verhältnisse richtig hingelangt.

Zusammen mit dem Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), Bob Hanning, kritisierte er deutsche Spitzenpolitiker, die den Rio-Spielen fernbleiben. „Wenn wir ins Stadion schauen und sehen zahlreiche Staatschefs und andere hohe Vertreter, dann bestätigt das sichtbar den Stellenwert des Sports in unserem Land“, sagte Bischof und scheute sich nicht, gleich mehr Geld für den Spitzensport zu fordern. „Gerne hätte ich unsere Kanzlerin gesehen. Unseren Athleten fällt das auf“, wird er von Nachrichtenagenturen und im „Focus“ zitiert. Und ähnliches sagt er beim SWR. Schützenhilfe leistet Hanning: „Dass keiner aus der Führungsriege den Weg nach Rio findet, worauf die Sportler vier Jahre lang als Ziel hart hingearbeitet haben, dann ist das respektlos den Sportlern gegenüber.“

Dem Generalkonsul abgesagt

Starker Tobak. Hanning wollte es der Politik auch noch richtig zeigen, ein „Zeichen setzen“: Er sagte seine Teilnahme am Empfang des deutschen Generalkonsuls in Rio am 16. August ab. Könnte es sein, dass Herr Bischof und Herr Hanning da etwas über den sportlichen Tellerrand schauen müssten? So einfach sind Welt und Politik nun doch nicht gestrickt!

Mal abgesehen davon, dass sich Bundespräsident Joachim Gauck sicher lieber die Eröffnungsfeier angeschaut hätte, als sich vom Zahnarzt quälen zu lassen, hat es wohl Gründe, warum nicht so viele Staats- und Regierungschefs an der Eröffnungsfeier teilgenommen haben.

Politik hat allerhand zu tun

In Brasilien regiert gerade ein Interimspräsident, nämlich Michel Temer, der nicht umsonst von seinen Landsleuten ausgebuht wurde – auch er steht unter Korruptionsverdacht. Gegen die von ihrem Amt suspendierte Regierungschefin Dilma Rouseff läuft seit gestern ein Amtsenthebungsverfahren wegen Korruptionsvorwürfen. Deutsche Regierungsvertreter würden sich, statteten sie Brasilien gerade jetzt einen Besuch ab, auf eisglattes diplomatisches Parkett begeben. Fingerspitzengefühl ist angesagt. Außerdem ist Wahlkampf – und ansonsten gibt es zu Hause viel zu tun. Innen- und Sportminister Thomas de Maizière, der sich für seine Abstinenz mehrfach entschuldigt hat, schnürt gerade sein Sicherheitspaket und ist vollauf mit Terrorbekämpfung beschäftigt, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bringt gerade die Bundeswehr, in der viele SportlerInnen einen festen Arbeitsplatz haben, in interne Verteidigungsstellung. Und Kanzlerin Angela Merkel? Sie hat genug mit Erdogan und der EU zu tun – und bekommt jeden Tag ein neues politisches Überraschungsei serviert. Und da mal just for fun so eben an den Zuckerhut zu jetten, um „Guten Tag“ zu sagen, ist wohl zu viel verlangt. Zumal man sich wohl auch derzeit im olympischen Chaos nicht unbedingt mit nationalen oder internationalen SportpolitikerInnen fotografieren lassen möchte. Aber sicher ist: Nicht nur Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird den deutschen Athleten, wie er wissen lies, die Daumen drücken.

Kleinkariert

Das Fernbleiben von Spitzenpolitikern als mangelnden Respekt gegenüber SportlerInnen zu interpretieren, ist irreal und kleinkariert. Es sind reale politische Vorgaben und Umstände – Olympische Spiele rangieren derzeit auf der Prioritätenliste der deutschen Politik nicht unter den Top Ten. Übrigens auch bei vielen BürgerInnen nicht. Und offensichtlich wird da gerade eine Schieflage hinsichtlich der Bedeutung des olympischen Sports in der Gesellschaft ein wenig zurecht gerückt: Sport war und ist eine schöne Nebensache, gerade auch in unruhigen politischen Zeiten wie diesen – auch, wenn das Funktionäre und einige AthletenInnen wohl noch nicht begriffen haben.

Im übrigen: Nächste Woche (vom 15. bis 22. August) wird eine siebenköpfige Delegation des Bundestags-Sportausschusses in Rio aufschlagen. Im Reisekader, der von CDU-Mann und Handballpräsidenten der Berliner Füchse, Frank Steffel, angeführt wird, sind alle Parteien mit jeweils einem ParlamentarierIn vertreten. Sie wollen sich mit AthletInnen, TrainerInnen (haben die den Kopf während der Spiele dafür?) und VerbandsfunktionärInnen treffen, die dann mal ihre Einschätzungen zu der sportlichen Gesamtgemengelage und den Rio Spielen abgeben sollen.

Alle aus dem Präsidium

Da passt es gut, dass auch das gesamte DOSB-Präsidium vor Ort ist und trotz finanzieller Engpässe keine Kosten und Mühen gescheut wurden, auch die Vizepräsidenten für Breitensport, Frauen, Finanzen oder Bildung über den Atlantik zu fliegen. Schließlich haben sie globale Gespräche zu führen, ein Jugendlager zu betreuen und gemeinsame Entwicklungsziele auf allen Ebenen abzuklären. Und Gespräche mit Abgeordneten müssen in Rio sein, weil man sich zuhause ja offensichtlich so selten trifft. Was am Zuckerhut auch nicht so einfach ist: Mancher Trainer, manche Trainerin hätte sich, um direkt bei den Aktiven zu sein, eine der offensichtlich knappen Akkreditierungen gewünscht, die an andere Offizielle vergeben wurden. Denn manche FunktionärInnen sitzen gerne in der ersten Reihe bei Wettbewerben und sind weniger dabei, wenn es gilt, ihre Aufgaben zu erfüllen. Dabei sein ist alles für sie – am besten im Samba-Urlaubsmodus. Den können sich Spitzenpolitiker ohnehin und derzeit schon gar nicht leisten – das käme nicht gut an. Auch deshalb bleiben sie zu Hause.